»Besser ein einfaches Stück sehr gut als ein schwieriges nur mäßig gespielt«
Ein Blick auf das World Music Festival 2025 aus der Sicht eines langjährigen Jurors
Endlich wieder Innsbruck! Nach sechsjähriger Zwangspause findet 2025 wieder das größte Event der Harmonikawelt in Tirol statt. Wir alle hoffen auf rege Teilnahme und auch darauf, an frühere Highlights anknüpfen zu können. Für die Mitglieder in den verschiedenen Jurys ist dieser Wettbewerb eine enorme Herausforderung. Nicht selten erstrecken sich die Wertungen einzelner Kategorien über zwei Tage mit insgesamt bis zu 40 Orchestern oder Spielgruppen.
»Wie machen Sie das, nach welchen Kriterien kommt die Jury zu ihrer Bewertung?«
Gerade weil bei Musik nicht mit Maßband und Stoppuhr ermittelt werden kann, fällt die Antwort auf diese Frage sehr komplex aus. Alle Töne korrekt und zum richtigen Zeitpunkt gespielt reicht leider nicht für die vorderen Plätze, es wäre allerdings eine ziemlich gute Voraussetzung dafür!
Für mich als Juror lautet die zentrale Frage stets: Ist das Musik, was da vorne auf der Bühne stattfindet? Höre und sehe ich, dass dort mit Hingabe, Leidenschaft und Freude musiziert wird? Haben der Dirigent, die Dirigentin, die Spielerinnen und Spieler das dargebotene Musikstück verinnerlicht? Hat man die Partitur wirklich erarbeitet und umgesetzt oder drückt man nur die Noten ab? Die Melodieführung, die Beziehung der Stimmen untereinander, Artikulation und Phrasierung, Tempo und Stilistik – alles Gesichtspunkte, die eine Jury in Betracht ziehen muss. Spielt man das Crescendo nur, weil es dasteht, oder haben die Ausführenden ein Empfinden dafür entwickelt, warum das Crescendo da steht? Hat das Orchester oder Ensemble einen ausgewogenen Klang entwickelt oder sind einzelne Stimmen zu laut oder zu leise? Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen. Musik ist eine flüchtige Kunst; die Jury hat nur eine einmalige Chance, um all dies in Betracht zu ziehen und damit zu einem möglichst objektiven Urteil zu gelangen.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass die vorgetragene Literatur eine gewisse kompositorische Qualität besitzt. Diese hat die Jury zwar nicht zu bewerten, jedoch können die Ausführenden mit einem oberflächlichen, banalen Musikstück ihr Können, ihre Stärken gar nicht erst zum Ausdruck bringen. Die Wahl des Vortragsstückes hat somit große Bedeutung. Ganz besonders auch der Schwierigkeitsgrad. Unser Altmeister Rudolf Würthner pflegte stets zu sagen: »Besser ein einfaches Stück sehr gut als ein schwieriges nur mäßig gespielt.« In der Tat ist immer wieder festzustellen, dass manche Formationen zu schwere Stücke wählen. Es ist ein Irrtum zu glauben, mit einem anspruchsvolleren Stück hätte man bessere Chancen. Gleiches gilt für unbekannte Werke, welche die Jury noch nicht kennt. Es kommt nicht darauf an, was man vorträgt, sondern vielmehr darauf, wie man es vorträgt.
Das Jurygespräch im Anschluss an den Vortrag: ein äußerst emotionaler Moment!
Und zwar sowohl für die Jury als auch für die musikalisch Verantwortlichen. Hier wird von den Jurorinnen und Juroren größtes Feingefühl und viel Empathie verlangt. Man bedenke: die Ensembleleiterin, der Dirigent haben sich wochen- und monatelang auf diesen großen Moment vorbereitet. Die Aufregung und Anspannung ist kurz nach dem Vortrag noch nicht abgeklungen. Und in dieser Situation kommt nun die Jury vielleicht mit einer niederschmetternden Kritik daher! Da wurde leider schon viel Porzellan zerschlagen, viel Vertrauen verspielt.
In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Juror habe ich noch nie erlebt, dass meine Kolleginnen und Kollegen in der Jury eine Teilnehmerin, einen Teilnehmer absichtlich ‚herunterputzen‘ wollten. Alle sind wir um ein sachgerechtes und möglichst positives Urteil bemüht, auch wenn in einem Jurygespräch leider hier und da vielleicht nicht immer der richtige Tonfall getroffen wird, sorry!
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bitte an die musikalischen Leiterinnen und Leiter, die zum Jurygespräch kommen: bitte, bitte keine Rechtfertigungsversuche und Entschuldigungen zu dem, was im Vorfeld alles schief ging! Es interessiert die Jury nicht, dass der Orchesterbus im Stau stand, dass der Schlagzeuger sich beim Ausladen die Hand eingeklemmt hat und daher das Tempo beim Vortrag nicht richtig halten konnte. Auch dass der Bass-Verstärker ausgetauscht werden musste oder das Elektroniumkabel defekt war – all dies hat keinerlei Einfluss auf die Bewertung. Eine Jury hat ausschließlich das zu beurteilen, was sie eben gehört und gesehen hat, und sonst nichts! Ich bitte um Verständnis für diese klaren Worte, aber bitte glauben sie mir, der Job in der Jury ist anstrengend genug, auch ohne derlei Beschwichtigungsversuche, die nichts bewirken.
Gewissenhaft zu einem Ergebnis kommen
In der Vergangenheit wurden verschiedentlich Verfahren ausprobiert, mit Hilfe derer man die Beurteilung der Jury transparenter darstellen könnte. Meist ohne Erfolg. Am besten funktioniert immer noch ein vertrauliches Gespräch der Jurymitglieder untereinander, ein nicht selten auch kontrovers geführter Diskurs, jedoch stets in der Absicht, zu einem einvernehmlichen Konsens zu kommen. Oft saß ich mit meinen Jurykolleginnen und -kollegen in Innsbruck bis spät abends zusammen, um ein stimmiges Ergebnis zu erreichen. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Hier entscheiden eben Menschen aus ihrem jeweiligen Blickwinkel, aber im Zweifel stets zugunsten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
So wird es auch beim anstehenden World Music Festival im Mai nächsten Jahres sein. Ich schließe mich den Ausführungen unserer Bundesdirigentin Silke d’Inka an, die im Editorial zu Nr. 3/2024 dieser Zeitschrift schrieb: »Ich freue mich sehr auf…das WMF 2025 in Innsbruck! Und darauf, euch alle dort (wieder) zu sehen! Am Ende gewinnt immer die Musik!«
Abschließend noch ein Blick auf unsere neue Kategorie »Free Style«
Eine zunehmende Zahl an Ensembles und Orchestern bewegt sich musikalisch jenseits der traditionellen Besetzungen und Literatur. Orchester werden mit anderem Instrumentarium verstärkt, gemischte Ensembles und Bands mit Akkordeon, Hand- oder Mundharmonika entstehen. Ihre Musik bewegt sich in den unterschiedlichsten Stilen und Genres. All diese Formationen passen nicht mehr in die etablierten Kategorien. Um auch diesen Gruppierungen eine Plattform beim WMF zu bieten, wurde im Fachbeirat Musik des DHV die Idee zur neuen Kategorie »Free Style« entwickelt. Alle Formationen mit mindestens einem Harmonikainstrument sind willkommen. Es wird lediglich nach Altersgruppen und zwischen Amateuren und Profis unterschieden. Auch gibt es keinerlei Beschränkungen bei der Literaturauswahl und keine Einteilung in Schwierigkeitsgrade.
Kommt einfach, bringt eure Musik mit, gebt uns und der Harmonikawelt neue Impulse!
Ich freue mich auf das WMF in Innsbruck 2025!
Über Den Autor
Wolfgang Ruß ist vielgefragtes Jurymitglied bei Wettbewerben in der Akkordeonszene, seit Beginn der 90er Jahre ist er auch regelmäßig als Juror beim World Music Festival (WMF) in Innsbruck dabei.