Mit starker Stimme für die Interessen der Amateurmusik
Lobbyismus hat keinen guten Ruf. Denn die politische Interessenvertretung durch Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften steht schnell im Verdacht der einseitigen Einflussnahme. Der Vorwurf: die mächtigen und finanzstarken Lobbyisten setzen sich durch, schwächere Interessengruppen haben dagegen nur wenig Einfluss. Dahinter steht die Sorge, bestimmte Gruppen würden in Hinterzimmern Einfluss auf die parlamentarische Demokratie und die Öffentlichkeit nehmen, im Hintergrund Strippen ziehen oder gar im Geheimen Gesetze beeinflussen.
Der Alltag der Lobbyarbeit sieht tatsächlich anders aus. Ich freue mich daher, heute ein wenig aus dem Alltag im politischen Berlin berichten zu können. Als Fürsprecher für die größte Kulturbewegung neben dem Sport, die Amateurmusik, sage ich immer, bin ich ohnehin Lobbyist für die gute Sache. Es wird also Zeit, um mit den vorherrschenden Vorurteilen etwas aufzuräumen. Für mich ist ganz klar: Lobbyarbeit ist wichtig und gut. Sie hat nichts mit Manipulation oder Täuschung zu tun. Im Gegenteil: Unsere Perspektive und Einschätzung in vielen Sachfragen wird von der Politik gebraucht, gehört und nachgefragt. Gerade im Kulturbereich und speziell für den Bereich der Amateurmusik brauchen wir deshalb mehr Austausch, um für die Bedeutung unserer Szene, ihre Bedürfnisse und Interessen zu sensibilisieren.
Doch Schritt für Schritt: Warum ist die kulturpolitische Vertretung durch die Verbände so wichtig?
Lobbyismus ist für die politische Arbeit in einem demokratischen und repräsentativen System so bedeutsam, weil unser Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) als Dachverband der Amateurmusik in Deutschland die Interessen seiner 21 bundesweit tätigen Mitgliedsverbände bündelt. Wir verfügen über die wichtigen Informationen und das Fachwissen und können dieses auf politischer Ebene vermitteln.
Wir wissen, was die Vereine umtreibt. Welche bürokratischen Regelungen hinderlich sind, um sich vordergründig um die Musik zu kümmern. Und welche finanzielle Unterstützung es braucht, damit wichtige Nachwuchsarbeit erfolgen kann und das gemeinsame Musizieren auch morgen noch gesichert ist.
Als Dachverband der Amateurmusik besitzen wir also Expertise in einem Fachgebiet. Unsere Bewertung und Einschätzung zu verschiedenen Sachfragen trägt im politischen Diskussionsprozess dazu bei, dass sich bspw. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei Gesetzesvorhaben oder anderen Initiativen eine Meinung einholen, die es ihnen ermöglicht, in ihre Bewertung verschiedene Perspektiven einfließen zu lassen. Das ist wichtig, um auch die Folgen und Auswirkungen einer Gesetzesänderung einzuschätzen. Wenn Gesetze formuliert werden, ist die Anhörung von Verbänden und der Wirtschaft deshalb sogar explizit vorgeschrieben.
Die Welt der Verbände und die Kulturpolitik
Der Bundesmusikverband Chor & Orchester vertritt die Interessen von 21 bundesweit tätigen Chor- und Orchesterverbänden mit insgesamt ca. 100.000 Ensembles. Da nicht jeder Verein einzeln bei der Politik vorsprechen kann, braucht es eine professionelle Interessenvertretung, die durch Verbände organisiert wird. Nahezu alle Mitgliedsverbände des BMCO haben eigene Organisationsstrukturen auf Landesebene ausgebildet. Auch hier werden Interessen von Vereinen über Kreis- und Landesebenen gebündelt, um dann von Dachverbänden in die Diskussion auf Bundesebene eingespeist zu werden. Da eine Grundkonstante der deutschen Kulturlandschaft und -förderung die föderale Struktur ist, operiert der BMCO weniger im Hoheitsbereich der Länder, sondern adressiert vor allem die bundeskulturpolitische Ebene.
Auf Bundesebene setzt sich der BMCO ganz allgemein für die Interessen der Amateurmusik ein. Dazu zählt, die Musikausübung breiter Bevölkerungsschichten zu aktivieren, auf die positiven Effekte gemeinsamen Musizierens hinzuweisen und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu verbessern. Grundsätzlich geht es immer auch darum die öffentliche Wahrnehmung der Amateurmusik zu stärken. Im Bereich der vereinsgetragenen Amateurmusik engagiert sich der BMCO für wichtige Themen wie die Förderung von Engagement und Ehrenamt sowie die Nachwuchsgewinnung.
Seine Mitgliedsverbände und deren Basis, die einzelnen Ensembles, unterstützt der BMCO mit praktischen Tipps und verschiedenen Förderprogrammen des Bundes.* Der BMCO ist parteipolitisch unabhängig und ehrenamtlich geführt. Er lässt sich leiten von der Begeisterung für die Musik und das Musikmachen, von dem Bewusstsein, dass Musik und musikalische Betätigung zu allen Lebensaltern und Lebensphasen gehören, von der Gewissheit, dass qualitätsvolle Breitenarbeit musikalische Entwicklungen bis zur Spitze ermöglicht, und von der Überzeugung, dass musizierende Menschen Glück, Freude und Lebensqualität erleben und weitergeben.
Chorszene und Orchesterkultur sind so bunt und divers wie unser Land. Der BMCO befürwortet dieses Bekenntnis zu Vielfalt, Weltoffenheit, Vielstimmigkeit und Diversität. Amateurmusiker*innen verbindet die Leidenschaft für das Musizieren sowie das gute Gefühl, in der Gemeinschaft mit anderen Menschen aktiv zu sein. Da Chormusik in deutschen Amateurchören sowie instrumentales Laien- und Amateurmusizieren im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der deutschen UNESCO-Kommission eingetragen sind, ergibt sich für den BMCO eine besondere Verpflichtung, dieses wertvolle Kulturerbe zu schützen.
Konkrete Ziele definieren
Der BMCO hat sich erfolgreich dafür starkgemacht, dass auch nach der Pandemie die Amateurmusik in der Fläche gesichert werden muss und Ensembles Unterstützung benötigen, um sich neuen künstlerischen Projekten sowie Ausdrucksformen zu widmen und fit für die Zukunft zu werden. Mit der Einrichtung eines Amateurmusikfonds in Höhe von 5 Mio. Euro hat der Deutsche Bundestag im November 2022 eine neue Fördermöglichkeit für Chöre, Orchester, Bands und viele weitere Akteur*innen aus dem Bereich der Amateurmusik geschaffen. In diesem Jahr mit weiteren 4,6 Mio. Euro zunächst ein Mal verlängert, soll er herausgehobene künstlerische Projekte fördern und die Lebendigkeit der musikalischen Breitenkultur in Deutschland erhalten.
Für die über 14,3 Millionen Menschen, die in Deutschland in ihrer Freizeit Musik machen, ist der Amateurmusikfonds ein historischer Meilenstein, der die bereits bestehenden Bundeskulturfonds nun um eine wichtige Komponente erweitert. Neben der Förderung besonders bemerkenswerter Projekte zielt der Fonds auch darauf ab, Amateurmusiker*innen neue künstlerische Impulse, Methoden und Ideen zu vermitteln und die Amateurmusik als solche sichtbarer zu machen. Als oberstes Ziel des BMCO gilt daher, den Amateurmusikfonds zu verstetigen. Nur durch eine Verankerung des Amateurmusikfonds im Haushalt der Beauftragten für Kultur und Medien kann es langfristig gelingen, im Bereich der Amateurmusik innovative neue Auseinandersetzungen mit unserem kulturellen Erbe zu garantieren und die Szene nachhaltig und planbar zu fördern.
Andere zentrale Themen sind: Ein GEMA-Tarif für die Amateurmusik, Vereinfachungen beim Zuwendungsrecht, Einbezug der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung eines Demokratiefördergesetzes oder der neuen Engagementstrategie des Bundes.

V.l.n.r.: Theresa Demandt, stv. Geschäftsführerin BMCO, Sabine Dittmar MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Dr. Kathrin Bernateck, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stefan Donath, BMCO-Geschäftsführer; beim parlamentarischen Abend des BMCO 2023
Strategien zur Umsetzung entwickeln
Je nachdem welches spezifische Ziel wir als Verband verfolgen, erarbeiten wir eine konkrete Strategie, nach der sich richtet, wie wir vorgehen, mit wem wir reden und welcher Maßnahmen es mittel- und langfristig bedarf, um ein Vorhaben zu realisieren. Die Etablierung eines neuen Bundeskulturfonds bedarf sicherlich vieler kleiner Schritte und eines langen Atems, wohingegen sich die Bewerbung als Partner eines neuen Förderprogramms mitunter schneller realisieren lässt.
Unabdingbar für erfolgreiche Lobbyarbeit ist in den Bereichen Public Affairs und Government Relations die kontinuierliche Kontaktpflege zu politischen Entscheidungsträger*innen in Berlin. Um die Interessen der Amateurmusik vor Ort vertreten zu können, hat der Bundesmusikverband dort eine Geschäftsstelle.
Ein ganz entscheidender Bestandteil unserer Arbeit ist es ebenso, politische Entwicklungen und Gesetzgebungsprozesse zu beobachten und zu bewerten sowie ein enges Netzwerk in die Politik aufzubauen. Dazu gehören in erster Linie die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und im Besonderen die Mitglieder verschiedener Ausschüsse, die sich in ihrer Arbeit mit Sachfragen zu unseren Themen befassen: der Ausschuss für Kultur und Medien, der Ausschuss für Bildung und Forschung, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend oder der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“.
Die Auskunftsbereitschaft zu zentralen Fachthemen ist ein Schlüssel erfolgreicher Lobbyarbeit. In öffentlichen Anhörungen, als Sachverständige in Ausschusssitzungen oder auf schriftliche Weise wird es uns als Verband möglich, Transparenz für unsere Anliegen herzustellen und sie in einer breiten Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es nicht nur darum, politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im eigenen Interesse zu beeinflussen. Sondern die Auswirkungen, die politische Entscheidungen auch für den Amateurmusikbereich haben, anschaulich darzustellen.
Ein Instrument, das sich anbietet, um mit prägnanten Botschaften zu überzeugen, ist für mich das Positionspapier. Das Positionspapier ermöglicht es uns als Verband, unsere Haltung zu einem Thema oder Sachverhalt klar und prägnant zu kommunizieren. Als eine Grundlage erfolgreicher Kommunikation in der Lobbyarbeit stellt das Positionspapier die Antwort auf folgende Fragen in den Vordergrund: Was möchten wir erreichen? Welche Themen sind für uns wichtig? Und welche konkreten politischen Positionen ergeben sich daraus?
Zusätzlich stehen wir im engen Austausch mit der Bundesverwaltung und anderen Kulturverbänden, mit denen wir uns abstimmen oder gemeinsame Initiativen planen. Zu unseren Aufgaben gehört es daher, nicht nur persönliche Gespräche mit Abgeordneten, sondern auch mit Mitarbeitenden in den Ministerien zu führen. Der kontinuierliche Austausch ermöglicht es, frühzeitig wichtige Informationen zu erhalten, einzuspeisen, neu zu beschaffen oder unsere Themen zu platzieren.
Neben der Aktivierung bestehender Kontakte bauen wir auch neue Netzwerke zu Politik, Ministerien und der Verwaltung auf Bundesebene auf. Dazu planen wir Veranstaltungen zu politischen Themen, wie einen jährlichen Parlamentarischen Abend in Berlin, zu dem wir die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu einem musikalischen Abend mit Zeit für Gespräche einladen.
In dem Maße, wie sich durch Kontakte, Einladungen zu Veranstaltungen und Vorträgen etc. Beziehungen bilden und intensivieren, erhöhen wir auch die Chancen der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse.
Lobbyarbeit lohnt sich
Dass sich der Einsatz kontinuierlicher Lobbyarbeit für die Amateurmusik auf Bundesebene auszahlt, zeigen Förderprogramme wie »Neustart Amateurmusik« oder »Impuls«, die in der Zeit der Corona-Pandemie neu aufgelegt wurden. Beide Rettungsprogramme haben die Amateurmusikszene enorm gestärkt und nicht nur die Härten abgefedert, sondern wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Szene gestiftet. Dass die Programme aufgelegt wurden und die Amateurmusik dabei mitgedacht wurde, lag maßgeblich daran, dass sich der BMCO in der Vergangenheit zum einen als verlässlicher Partner bei der Weiterleitung von Fördermitteln präsentiert hatte. Zum anderen zahlte sich positiv aus, dass wir im regelmäßigen Austausch mit den entscheiden Stellen in Politik und Verwaltung standen und die notwendigen Bedarfe direkt mitteilen konnten. In drei Jahren konnten so über 3.000 Projekte mit einem Fördervolumen von 29,6 Mio. Euro unterstützt werden. Die finanziellen Zuwendungen haben viele Chöre und Orchester vor einer Auflösung gerettet und für neue Anreize gesorgt, weiterzumachen. Die Vereine konnten zudem auf die umfassende Beratung durch das Kompetenznetzwerk »Neustart Amateurmusik« zurückgreifen und Lösungen zum Umgang mit der Pandemie finden. Und dort entwickelte Lösungen wie frag-amu.de, das kostenfreie Informationsportal der Amateurmusik, helfen der Amateurmusik noch heute.
Über den Autor
Stefan Donath studierte Publizistik, Politikwissenschaften und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ an der Freien Universität Berlin. Seit Juli 2020 ist er Geschäftsführer des Bundesmusikverbands in Berlin. Er leitet die Berliner Geschäftsstelle des Verbands und verantwortet die Bereiche Kommunikation und Lobbyarbeit. Zudem engagiert er sich als Mitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft und Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrats.
Als Autor und Herausgeber zahlreicher Fachartikel zur politischen Bedeutung des Chores sind zuletzt erschienen: „Protestchöre. Zu einer neuen Ästhetik des Widerstands“, Bielefeld: transcript, 2018 und „Practices of Interweaving“, mit Christel Weiler und Richard Gough (Hrsg.), in: Performance Research, Vol. 25, No. 6 + 7, 2021.