Claudia Quakernack: Musikpädagogin und Schulleiterin der Musikschule Senne, Bielefeld
Wenn ich über die Vorteile und positiven Aspekte der Vorbereitung von Schülerinnen und Schülern auf Wettbewerbe spreche, beziehe ich mich als Pädagogin vor allem auf die solistische Arbeit, mit der ich mich als Schulleiterin der Musikschule Senne in Bielefeld intensiv auseinandersetze. Bereits als Kind habe ich sowohl an Orchester- wie zahlreichen Solowettbewerben teilgenommen, was natürlich mein heutiges Gesamtbild geprägt hat. Grundsätzlich empfinde ich Wettbewerbe als einen positiven Ansporn für zielorientierte Arbeit. Bereits die Anmeldung zu einem Wettbewerb signalisiert dem Schüler oder der Schülerin eine Wertschätzung der Lehrkraft.
Extrinsische Motivation.
Wettbewerbsvorbereitung bedeutet fokussiert zu arbeiten. Der gewünschte »perfekte Vortrag« beim Wettbewerb ist immer eine Momentaufnahme, aber der Weg dorthin, ist für mich das eigentliche Ziel. Was an einem ausgewählten Programm exemplarisch gelernt wird, überträgt sich automatisch auf die weitere musikalische Arbeit, im Orchester, wie im Solo-Bereich.
Genau Hinschauen lernen.
Das digitale Zeitalter ist in meinen Augen extrem auf das Visuelle fokussiert. Allerdings sind dies häufig sehr schnelle optische Reize. Ich bin immer wieder erstaunt, wie oft z. B. der Name des Komponisten bzw. der Komponistin bei Schülerinnen und Schülern überlesen wird, obwohl sie ein Stück bereits über längeren Zeitraum spielen. Für einen Wettbewerb ist man aber gezwungen, alle Details genau zu betrachten. Und sogar noch »zwischen den Zeilen« zu lesen.
Differenziertes Zuhören lernen.
YouTube und diverse Streaming-Dienste ermöglichen es, Interpretationen von Stücken zu vergleichen. Das schult das Gehör, Unterschiede wahrzunehmen, in Registrierung, Interpretation, Tempovorstellungen etc. Gerade bei solistischen Wettbewerben ist es häufig vorgegeben, Werke aus verschiedenen Epochen bzw. unterschiedliche Stilistiken vorzutragen. Das erweitert den musikalischen Horizont.
Sich in Geduld üben.
Wahrscheinlich die größte Herausforderung in der heutigen Zeit. Aber Qualität braucht Zeit und Reife, nicht nur in der Musik. Zunächst sicherlich handwerklich betrachtet, im späteren Verlauf in der musikalischen Interpretation. Dieser Prozess fördert das Durchhaltevermögen auch in anderen Lebensbereichen.
Spieltechniken erweitern.
Häufig findet man in der Wettbewerbsliteratur moderne Spieltechniken, die in den herkömmlichen Stücken weniger zum Einsatz kommen. Ob Bellow Shake, Ton-Glissando oder einfach grafische Notation. Eine Legende zu entschlüsseln, kann für einen Schüler oder eine Schülerin motivierend wirken, wie eine Schatzsuche. Das Akkordeon ist ein Instrument des 20. Jahrhunderts. Das Kennenlernen der Avantgarde gehört logischerweise für mich dazu.
Mut, sich der Bewertung zu stellen.
Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt. An einem Wettbewerb teilzunehmen ist immer auch mit Nervenkitzel verbunden. Da müssen wir als Pädagoginnen und Pädagogen ein empathisches, waches Auge haben, wen wir vorbereiten und mit welchem Ziel. Es gibt auch in der Vorbereitung zum Wettbewerb bereits »Hochs« und »Tiefs«. Unsere Schülerinnen und Schüler sind durch Social Media permanent mit Bewertungen in Form von »Likes« konfrontiert. Dass dieser Trend sich auf die Psyche auswirkt, ist allgemein bekannt. Hat man als Pädagoge bzw. Pädagogin auch diese negativen Facetten im Blick, können auch schüchterne Schülerinnen und Schüler in einem Wettbewerb über sich hinauswachsen und positiv gestärkt in ihre weitere Laufbahn gehen.
Das sind die positiven Aspekte der Wettbewerbsvorbereitung. All dies ist natürlich nicht gezwungenermaßen an einen Wettbewerb gebunden. Ich kann genauso einen Anspruch an ein Konzert oder Klassenvorspiel richten. Dennoch gibt es für mich da einen entscheidenden Unterschied, und der besteht im gesellschaftlichen Austausch, den ein Wettbewerb ermöglicht. Wer einmal mit dem Orchester beim World Music Festival in Innsbruck dabei war, fühlt sich als Teil einer großen Gemeinschaft, einer »Akkordeonfamilie«. Und das ist die beste Motivation, die man als Spielerin oder Spieler haben kann. Menschen aus anderen Städten/Vereinen kennenzulernen und sich nicht als »Einzelkämpferin bzw. Einzelkämpfer« zu fühlen. Denn das macht den großen Unterschied zu den meisten anderen Instrumentalistinnen und Instrumentalisten aus. Als Leiterin einer privaten Musikschule beobachte ich genau, wie einfach es Bläser und Streicher im sozialen Austausch haben. Fast jede allgemeinbildende Schule hat ein Schulorchester oder eine Big Band. Es ist doch eher die Ausnahme, dass ein Akkordeonspieler oder eine Akkordeonspielerin da mitwirkt. Auch von meinen eigenen begabten Schülerinnen und Schülern, die erfolgreich bei Jugend Musiziert oder dem Akkordeon Musik Preis (AMP) mitgewirkt haben, höre ich immer, dass sie sich an ihrer Schule musikalisch oft nicht »verstanden« fühlen. Tatsächlich hört da auch mein Einfluss als Pädagogin auf. Ich kann nur das eigene Orchester oder ein Klassenvorspiel anbieten, um auf Gleichgesinnte zu treffen.
Da bietet aber ein Wettbewerb ein anregendes Podium. Neue Gesichter, neue Literatur, andere Instrumententypen u.v.m. kennenzulernen. Natürlich gibt es bei der Wettbewerbsarbeit auch immer eine Kehrseite der Medaille. Ein niederschmetterndes Ergebnis mit geringer Punktzahl fördert nicht die Motivation der Schülerinnen und Schüler. Aber in den meisten Fällen lässt sich das vermeiden. Da sehe ich in erster Linie den die Pädagoginnen und Pädagogen in der Pflicht, sich vorab gut über die Teilnahmevoraussetzungen zu informieren.
Lampenfieber ist für alle unberechenbar. Der eigentliche Auftritt beim Wettbewerb ist immer das letzte Glied in der Kette der Vorbereitung. Bereits vorab versuche ich meine Schülerinnen und Schüler möglichst viel Vorspielerfahrung sammeln zu lassen. Angefangen in der Familie, über Klassenvorspiele, Auftritte im Altenheim etc. Bereits dort erkenne ich als Lehrkraft, wie belastbar meine Schülerin oder mein Schüler ist. Beobachte ich Angst in der Vorbereitung, die die Fortschritte blockiert, schicke ich auch einen begabten Schüler noch nicht zu einem Wettbewerb. Dann setze ich die Priorität eher in der Kammermusik/Orchesterspiel. Es hat ja auch nicht jeder Schüler bzw. jede Schülerin Interesse an einem Wettbewerb und das ist in Ordnung.
Schülerinnen und Schüler solistisch auf einen Wettbewerb vorzubereiten, bedeutet natürlich auch viel Zeit zu investieren, um sich mit dem Spiel beider Hände auseinanderzusetzen. Häufig habe ich gerade in den unteren Altersgruppen gute Orchesterspielerinnen und -spieler, die eher Technik in der rechten Hand entwickelt haben, oder Solistinnen und Solisten für Solo-Wettbewerbe. Mit fortgeschrittenem Alter festigt sich das Blattspiel und man kann mehrgleisig fahren. In meiner Kindheit meinem Studium bedeutete nach dem Wettbewerb zugleich vor dem Wettbewerb. War eine Veranstaltung abgeschlossen, hatte ich bereits das nächste Ziel vor Augen. Das betrachte ich heute als zu viel. Die Gefahr, eine Schülerin oder einen Schüler als Aushängeschild zu instrumentalisieren, ist nicht zu verachten. Ich versuche da immer genau hinzuschauen, um ein gesundes Maß zu finden.
Mein Resümee im Hinblick auf Solo-Wettbewerbe nach 30-jähriger Erfahrung ist: solistische Wettbewerbe nutzen, um die Leistungsbereitschaft anzuregen, den Horizont zu erweitern und den kulturellen Austausch zu pflegen. Aber: ich bin auch der festen Überzeugung, dass das Akkordeon ein geselliges Instrument ist. Und wenn eine Schülerin oder ein Schüler nicht von mir erwartet, explizit auf eine Hochschullaufbahn vorbereitet zu werden, ist für mich das Orchesterspiel jeglicher Art (mit und ohne Wettbewerbe) genauso wichtig. Die Erfahrung vieler Jahre hat gezeigt, dass die Teilnahme im LandesJugendAkkordeonOrchester NRW meine Schülerinnen und Schüler genauso gestärkt hat wie die Teilnahme an Solo-Wettbewerben. Mein Ziel ist es, leidenschaftliche Akkordeonistinnen und Akkordeonisten auszubilden. Wenn Schüler und Schülerinnen nach ihrer Schullaufbahn begeistert dabeibleiben, war es der richtige Weg. Mit und ohne Wettbewerb, als Laie/Laiin oder Profi.