Erfahrungsbericht aus der praktischen Juroren-Tätigkeit
Musikwettbewerbe lassen sich – anders als z. B. in vielen Sportarten – kaum mit Maßband und Stoppuhr bemessen. Es werden Jurorinnen und Juroren eingesetzt. Ich will hier einige Aspekte der Jury-Arbeit aus meinen Erfahrungen anführen.
Berufung von Juroren und Jurorinnen
Grundsätzlich ist ein Berufungsverfahren für zukünftige Jurorinnen und Juroren nicht eindeutig geregelt, zu unterschiedlich sind Lebensläufe und musikalische Werdegänge der entsprechenden Persönlichkeiten. Zugegeben: Ein abgeschlossenes Musikstudium ist natürlich sehr hilfreich. Ansonsten sind es auch Wettbewerbserfolge der Personen, als Dirigent*in oder als Ausbilder*in von erfolgreichen Schülerinnen und Schülern im Solo, Duo usw..
Man fällt also auf und wird dann z. B. auf ein Jurorensymposium eingeladen, wo man sich mit bestimmten Umständen und Denkweisen über das Werten vertraut machen kann. Es gibt eine Juror*innen-Vorschlagsliste mit ca. 70 Personen – abrufbar in der Geschäftsstelle des DHV. Diese Liste wird ergänzt und gepflegt vom DHV-Musikfachbeirat. Natürlich kann aber ein Veranstalter auch ohne diese Werdegänge oder Empfehlungen Personen als Jurorinnen und Juroren einsetzen.
Übrigens ist der Veranstalter für die »gute Mischung« der Jury zuständig. Jung zu alt, progressiv zu konservativ, evtl. eine externe Jurypersönlichkeit – bei größeren Jurys – zu den Akkordeonistinnen und Akkordeonisten hinzu…
Unser Wertungssystem
Punktzahlen von 1 bis 50 werden zu fünf wohlklingenden Prädikaten (mit Anerkennung – gut – sehr gut – ausgezeichnet – hervorragend) in Zusammenhang gebracht. Diese Prädikate sind meist ein schöner Anreiz für Teilnehmende. Nach meiner Erfahrung sind sich die Mitglieder einer Jury, wenn es gut klappt, bis auf zwei, drei Punkte einig. Manche Jurorinnen und Juroren werten insgesamt etwas strenger oder weniger streng als andere, das gleicht sich dann im Durchschnitt aus. Über die Jahrzehnte sind die Wertungsniveaus bestimmt gestiegen. Man erkennt zunehmend die motivierende Funktion von guten Wertungen. Abstrafungen (»früher war alles besser«) sollten wir uns nicht mehr leisten.
Wägungsprobleme bei den Juror*innen
Selbstverständlich sind Jurorinnen und Juroren den üblichen psychologischen Fehlerquellen unterworfen.
Übergewicht eines ersten Eindrucks.
Habe ich eine frühe Meinung (positiv oder negativ) von einem Vortrag, muss ich in der Folge aufpassen, dass ich nicht darauf beharren will. Ein Vortrag kann sich auch qualitativ wandeln. Also, cool bleiben und erst am Schluss wägen.
Gut – auf meine Art?
Es gibt die Regel, dass ein Juror oder eine Jurorin nicht eigene Schülerinnen und Schüler bewerten sollte. Hier geht es nicht nur darum, eine denkbare Manipulation zu unterbinden. Selbstverständlich spielen eigene Schülerinnen und Schüler auf die Art und Weise, wie ich es als Juror selbst sehr natürlich finde, ich habe sie ja entsprechend geschult. Trotzdem sollte ich auch anders gelagerte Leistungen entsprechend würdigen können.
Zum überbewerteten Thema »Fehler«.
Geübte Teilnehmende eines Wettbewerbs sind selbstverständlich versucht, Fehler zu vermeiden, und im Fall des Falles dann verunsichert. Für mich als Juror ist ein einzelner Fehler, auch wenn er sehr hörbar ist, fast bedeutungslos, aber die Sekunden danach sind interessant. Führt der Fehler zu einer Fehlerkette im Orchester oder beim Einzelspieler bzw. bei der Einzelspielerin, oder wird gleich souverän und konzentriert weitergespielt… Das zeigt mir eine Qualität auf.
Feedbackgespräche
Diese finden meistens mit Dirigent*innen/Ensembleleiter*innen statt. Ein Gespräch zwischen nur einem Jurymitglied und der musikalischen Leitung einer Gruppierung erscheint mir am sinnvollsten, hier können von beiden Seiten paritätisch Argumente ausgetauscht werden.
Es gilt der Grundsatz: Bitte auch loben! Und am besten ungefähr zu zwei Dritteln… Eine Dirigentin oder ein Dirigent will nicht unmittelbar nach dem Vortrag sehr viel lernen, nein, man hat es verdient, positiv gewürdigt zu werden. Andersherum betrachtet: Wer als Ensembleleitung kurz nach dem Vortrag in eine evtl. interessante Diskussion über gewisse Interpretationsfragen verwickelt wird, sollte dies nicht als Hinweis auf schlechte Leistung betrachten, nein, gerade mit kompetenten Leuten wollen sich die Jurorinnen und Juroren gerne vertiefen.
Meistens finden Feedbackgespräche noch vor einer abschließenden Wertungsfindung in der Jury statt, deshalb sind sowieso keine genauen Hinweise auf die Leistung ables- oder -hörbar.
Ablesbar wären Zahlen auf einem Maßband, und dies fehlt leider den Jurorinnen und Juroren. Es sind Menschen, Kolleginnen und Kollegen, die ihr Möglichstes für die Szene einsetzen. Dank dafür!