Fünf Vereine gemeinsam auf einer Bühne: Hinterzarten macht es vor
Musizierende Vereine waren seit jeher die Kulturträger und häufig auch ein wichtiges Aushängeschild in Städen und Gemeinden. Blasmusik, Akkordeon oder Gesang – Musik erklang immer und überall, sei es in der Stadt oder auf dem Land. Doch obwohl sehr viele Ortschaften über unterschiedlichste Gruppierungen verfügten, musizierten diese meist allein und existierten eher neben- als miteinander. Genauso alt wie die Vereine ist sicher auch der Satz »Wir könnten ja mal was zusammen machen«. In vielen Fällen blieb es jedoch bei dieser nett gemeinten Formulierung. Im Kleinen wurde es zwar natürlich gerne umgesetzt – manchmal wurde ein*e Bläser-Solist*in beim Akkordeonorchester eingeladen oder ein Chor intonierte den »Freiheitschor« zusammen mit einem Blasorchester, aber im Großen und Ganzen wurden Blas-, Akkordeon- und Chormusikveranstaltungen meist getrennt voneinander organisiert, geschweige denn als gemeinsamer Auftritt aller agierenden Ensembles.
Einbindung der Musikvereine in der Gemeinde Hinterzarten
Ganz anders ist dies im Schwarzwälder Kurort Hinterzarten. Die schöne Gemeinde ist nicht nur für seinen Olympiasieger Georg Thoma und die vielen Skispringer*innen wie Sven Hannawald bekannt, nein, er steht auch für ein aktives und kameradschaftliches Vereinsleben. Die beiden Orchester, die Trachtenkappelle und die Trachten-Akkordeongruppe, zählen gemeinsam zu den aktivsten und am meisten auftretenden Vereinen in Deutschland. Grund dafür ist, dass die Musikvereine fest ins touristische Kulturprogramm der Gemeinde eingebunden sind.
Für die Trachtenkapelle steht jeden Freitag ein Kurkonzert auf dem Plan, hinzu kommen ein Oster-, alle zwei Jahre ein Weihnachts- und jährlich im vollbesetzten Kurhaus das beliebte Neujahrskonzert. Auch Kirchenkonzerte sind gern gesehen. Früher waren es sogar noch viel mehr Termine – da gab es zum Teil drei Kurkonzerte pro Woche. Die Trachten-Akkordeongruppe spielt heute alle zwei Wochen ein Konzert und auch der Gesangverein gibt mehrmals im Jahr Konzerte für die Gäste. Die Vereine sind sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe im Kulturtourismus Hinterzartens bewusst: Ziel ist es, insbesondere in der Hauptsaison vom Frühjahr bis zum Herbst die Erholung, Enspannung und Unterhaltung der Gäste im Ort zu gewährleisten.
Die Gestaltung der Konzertprogramme
Um das eben genannte Ziel zu erreichen, ist es natürlich wichtig, den musikalischen Geschmack des Publikums zu treffen – auch dann, wenn sich in solch touristischen Hochburgen alle Generationen und Nationalitäten treffen. Dies funktioniert eigentlich nur durch Vielseitigkeit in der Stückauswahl. Und musikalisch vielseitig zu sein ist doch recht einfach! Denn es gibt für jedes Genre ausreichend Literatur – sei es für die Blas- oder Akkordeonmusik. So findet sich in den Programmen und Repertoirelisten alles von Märschen, Polkas und Walzern über Schlager bis hin zu aktuellen Hits der Pop- und Rockmusik. Auch das ein oder andere anspruchsvolle konzertante oder klassische Stück ist dabei.
Da viele Gäste über einen längeren Zeitraum vor Ort sind und regelmäßig Konzerte besuchen, kann nicht bei jeder Aufführung das gleiche gespielt werden. Deshalb hat jedes Orchester mehrere unterschiedliche Konzertmappen, die abwechselnd aufgelegt werden. Für die meisten Auftritte hat man nur eine einzige Probe zur Verfügung, in der das Programm dann perfektioniert wird.
Eine einzige Probe für ein Konzert hört sich schwierig an? Ist es aber nicht – denn die Stücke sind während der Hauptsaison bereits gefestigt und die Vereine verfügen über eine große musikalische Routine.
Die Hauptzeit zum Einstudieren neuer Stücke ist von November bis ca. März. Hier werden neue Werke eingeübt und geprobt, die ab der darauffolgenden touristischen Hauptsaison Bestandteil der Repertoirelisten sind – und dies für die nächsten Jahrzehnte auch bleiben. Natürlich freuen sich viele Musizierende auch auf diese Phase intensiven Arbeitens, wenn in die Details gegangen wird und man zum Teil auch Werke der Oberstufe auflegt. Die »Nahziele« in diesen Phasen sind das Weihnachts- und das Neujahrskonzert.
Eine Bühne, fünf Orchester: das gemeinsame Saisonabschlusskonzert
Ganz klar sind die Aufgaben der Musikvereine in Hinterzarten nur gemeinsam und im Miteinander aller Beteiligten zu meistern. Deshalb ist es auch mehr als wichtig und richtig, das Ende jeder doch sehr langen Saison auch zusammen zu feiern. Der Höhepunkt dabei ist immer das Saisonabschlusskonzert. Hier sind alle agierenden Vereine zunächst einzeln auf der Bühne und danach als großes, gemeinsames Orchester. Eingebunden wird hier natürlich auch immer die Jugend, die ebenfalls ihre Konzertteile bestreitet. Zum großen Finale aller stehen dann rund fünf Ensembles und Ochester gemeinsam auf der Bühne im Kurhaus: die Trachten-Akkordeongruppe, die Trachtenkapelle, der Männergesangverein, die Happy Juniors Band der Akkordeongruppe und die Jugendkapelle der Trachtenkapelle – insgesamt bis zu 150 Akteurinnen und Akteure.
Es ist ein ganz schönes Gewusel, wenn sich Alt und Jung auf der Bühne zum gemeinsamen Musizieren einfinden Aber spätestens wenn alle sitzen und der Dirigent seinen Stock erhebt, ist es mucksmäuschenstill im Saal und alle sind gespannt auf den gemeinsamen Auftritt. Es ist schon ein tolles Bild – da sitzt der Achtjährige mit seinem kleinen Instrument neben dem 70-jährigen Bassisten der Trachtenkapelle, während sie gemeinsam den Männerchor mit der badischen Nationalhymne, dem Badnerlied, begleiten. Das Publikum weiß meist gar nicht, wohin es zuerst schauen soll – überall gibt es etwas Interessantes zu sehen. Und gerade der Aspekt der Optik ist oft mitentscheidend darüber, wie nachhaltig ein Konzert im Gedächtnis des Publikums bleibt.
Neue Workshop-Reihe in der »Harmonika International«
Warum die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen in Hinterzarten so gut funktioniert? Meiner Meinung nach ist das sicher eine Frage des Wollens! Außerdem gibt es viele Gründe, die für andersartige Gruppierungen sprechen, z. B. dass sie Konzerten eine besondere Note verleihen. Außerdem ist es auch für das Publikum schön zu sehen, wie sich Vereine untereinander respektieren, akzeptieren und sich musikalisch und kameradschaftlich gut verstehen. Auch für uns Musikerinnen und Musiker ist das erfreulich und funktioniert bestens.
Als Herausforderung stellte sich jedoch immer wieder heraus, dass es gerade für das Zusammenwirken von Akkordeon und Blasmusik doch recht wenig Literatur gibt, also Stimmsätze für gemeinsame Projekte. Wo man diese findet und wie Blasorchester, Akkordeonorchester und andere Gruppierungen zusammen musizieren können, wird das Thema einer neuen Workshop-Serie in den kommenden Ausgaben der »Harmonika International« sein. Denn ganz klar: es gibt entsprechende Literatur – man muss sie nur finden und mit ihr umzugehen wissen.
Über den Autor
Gottfried Hummel (* 2. März 1968 in Löffingen) ist ein deutscher Dirigent, Musiklehrer, Komponist und Arrangeur. Die Kompositionen und Arrangements Hummels werden in der Akkordeonszene vielfach gespielt. Seine Arrangements reichen von Volksmusik und Schlager bis hin zu Rock, Pop und Klassik. Auch im Bereich Blasmusik ist er mit Kompositionen und Arrangements vertreten. Als Musikpädagoge entwickelte er Konzepte für das gemeinsame Musizieren von Spielerinnen und Spielern aller Altersstufen sowie Schwierigkeitsgrade in einem Akkordeonorchester. Weitere Informationen: https://www.editionhummelton.com/