Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren nahezu alle Bereiche des musikalischen Schaffens erfasst. Von der Notensatzsoftware bis hin zu digitalen Probenmanagement-Tools erleichtern neue Technologien den Arbeitsalltag von Musikerinnen und Musikern. Ein Bereich, der durch künstliche Intelligenz (KI) besonders an Dynamik gewinnt, ist das Arrangieren von Musik. Doch was kann KI in diesem Feld leisten? Welche Tools stehen bereits zur Verfügung, und wo liegen Chancen und Herausforderungen für Musikvereine und Ensembles?
KI im Arrangement: Status quo und Potenziale
Die klassische Aufgabe eines Arrangierenden besteht darin, eine bestehende musikalische Vorlage an eine bestimmte Besetzung anzupassen, klangliche Feinheiten auszuarbeiten oder neue kreative Impulse zu setzen. Hier setzen KI-gestützte Systeme an. Bereits heute gibt es Software, die auf Basis von Algorithmen Arrangements erzeugen oder bestehende Werke analysieren und neu orchestrieren kann.
Drei zentrale Funktionen lassen sich im aktuellen KI-gestützten Arrangieren identifizieren:
Automatische Stimmverteilung: Programme wie MuseNet von OpenAI oder AI Music Composition können aus einer Melodie oder Akkordfolge passende Stimmverteilungen erstellen. Dies geschieht anhand riesiger Datenbanken bestehender Musikwerke, aus denen das System stilistisch passende Umsetzungen generiert.
Stilistische Transformation: Ein KI-Algorithmus kann ein klassisches Streichquartett in ein Akkordeonorchester-Arrangement umwandeln oder eine barocke Fuge in den Stil einer modernen Filmmusik adaptieren.
Harmonische Optimierung: Manche Systeme analysieren musikalische Strukturen und schlagen alternative Akkordfolgen oder Voicings vor, um Klangfarben zu verändern oder ein Stück an unterschiedliche Besetzungen anzupassen.
Diese Funktionen bergen großes Potenzial, besonders für Musikvereine, die mit wechselnden Besetzungen arbeiten oder eine bestimmte Klangästhetik in ihren Arrangements wahren möchten.
KI in der Musikgeschichte: Eine evolutionäre Entwicklung?
KI in der Musik ist keine völlig neue Idee. Schon frühere Entwicklungen in der algorithmischen Komposition zeigen, dass Computergestützte Musikgenerierung eine lange Geschichte hat. Bereits in den 1950er-Jahren experimentierte der Komponist und Mathematiker Lejaren Hiller mit den ersten Computeralgorithmen zur Erstellung von Musik. Sein „Illiac Suite“ gilt als das erste mit Hilfe eines Computers generierte Streichquartett. In den 1980er-Jahren kamen fraktale Kompositionen auf, bei denen mathematische Muster musikalisch umgesetzt wurden.
Was sich durch KI nun jedoch ändert, ist die massive Verbesserung in der Verarbeitung von Musikstilen und der Anwendung von Deep Learning. Moderne Systeme können mit Millionen von Datenpunkten trainiert werden und dadurch nicht nur mathematische Kompositionen erstellen, sondern gezielt musikalische Stile imitieren.
Ein herausragendes Beispiel ist das OpenAI-Projekt Jukebox, das in der Lage ist, nicht nur harmonische Strukturen zu analysieren, sondern sogar Künstlern „nachempfundene“ Musikstücke zu generieren. Damit rückt die Frage in den Fokus: Werden KI-gestützte Arrangements eines Tages so gut sein, dass sie ununterscheidbar von menschlichen Werken sind?
Die Auswirkungen auf Musikberufe: Entlastung oder Bedrohung?
In der Praxis zeigt sich, dass KI derzeit eher eine ergänzende Rolle spielt. Wichtige Aspekte des Arrangierens wie emotionale Nuancen, individuelle Stilentscheidungen und die Kenntnis des spezifischen Klangs eines Orchesters oder Ensembles sind nach wie vor Domänen menschlicher Kreativität. KI kann jedoch repetitive oder zeitaufwändige Prozesse übernehmen, etwa die Umwandlung eines Klavierauszugs in eine Orchester-Partitur oder das Erstellen von Transkriptionen.
Ein weiterer spannender Bereich ist das Co-Arrangieren mit KI. Hier geben Musiker eine Grundidee vor, und das System generiert darauf basierende Arrangements, die dann weiterbearbeitet werden. Dies könnte besonders in der Filmmusik oder in der Pop-Produktion eine große Rolle spielen, wo es oft um effizientes Arbeiten mit verschiedenen Sound-Varianten geht.
Die Perspektive der Komponisten: Freund oder Feind?
Viele Komponisten sehen die Möglichkeit, durch KI-gestützte Algorithmen schneller zu arbeiten und Routineaufgaben – etwa die Transkription oder das Erstellen von Variationen – zu automatisieren. Dies könnte den kreativen Schaffensprozess beschleunigen und mehr Raum für Innovation lassen.
Gleichzeitig gibt es die Befürchtung, dass sich durch die enorme Datenbasis, auf der KI-Modelle trainiert werden, eine gewisse Uniformität in der Musik durchsetzt, die zu einer Überflutung stilistisch ähnlicher Werke führt. Komponisten, insbesondere jene, die experimentelle oder unkonventionelle Musik schaffen, fragen sich, ob KI in der Lage sein wird, wahre kreative Durchbrüche zu erzielen oder ob sie letztlich nur bereits bestehende Muster reproduziert. Ein weiteres Problem ist die Frage nach der künstlerischen Identität: Ist Musik, die mit Hilfe einer KI erstellt wurde, noch das Werk eines Menschen oder ist sie bereits ein Produkt der Maschine? Viele Komponisten fordern daher eine klare Kennzeichnung von KI-generierter Musik und eine transparente Diskussion darüber, inwiefern die Rolle des menschlichen Künstlers durch KI- gestützte Tools verändert wird. Dennoch bleibt festzuhalten: KI kann den kreativen Prozess unterstützen, aber nicht ersetzen. Letztlich ist es die künstlerische Vision des Komponisten, die ein Musikstück einzigartig macht – ein Faktor, den auch die leistungsfähigste KI bislang nicht nachbilden kann.
Fazit: KI als Werkzeug, nicht als Ersatz
Obwohl KI beeindruckende Ergebnisse im Bereich des Arrangierens liefern kann, bleibt sie ein Werkzeug, das vom Menschen gesteuert werden muss. Die spannendste Perspektive liegt in der Kooperation zwischen Mensch und Maschine: KI als Inspirationsquelle und Assistent, der kreative Prozesse unterstützt, aber nicht ersetzt.
Der kreative Funke, der ein einzigartiges Arrangement ausmacht, bleibt jedoch auch in Zukunft menschlich.
Die zentrale Frage bleibt: Wird KI das Arrangieren nur effizienter machen oder mit der Zeit eine eigene Form von musikalischer Kreativität entwickeln? Diese Debatte wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen, während sich Technologien stetig weiterentwickeln.
KI-Tools:
1. MuseNet (OpenAI) – OpenAI hat MuseNet entwickelt, ein neuronales Netzwerk zur Musikgenerierung, das unterschiedliche Stile und Instrumentierungen verarbeiten kann. https://openai.com/research/musenet
2. AIVA (Artificial Intelligence Virtual Artist) – AIVA ist eine KI-gestützte Software zur Komposition und Orchestrierung von Musik in verschiedenen Stilrichtungen. https://www.aiva.ai
3. MuseScore + MuseAI – MuseScore bietet KI-gestützte Funktionen zur Harmonisierung und Notensatzunterstützung.https://musescore.org/de
4. Sibelius + NotePerformer AI – Sibelius (Avid) in Kombination mit NotePerformer AI ermöglicht realistische Orchestrierungsvorschläge durch KI. https://www.noteperformer.com
5. AnthemScore – Software zur automatischen Transkription von Audioaufnahmen in Noten mit KI-Unterstützung. https://www.lunaverus.com
6. KlangIO – Transkribiert Musik in Noten, TABs, MIDI und MusicXML aus Musik. https://klang.io/de/
Kommentar von Sophia Haid zu „Künstliche Intelligenz – Revolution der Arrangements“
Der Artikel von Michael Schönstein zeigt, wie rasant sich das Feld des Arrangierens durch künstliche Intelligenz verändert. Für die Harmonika-Szene eröffnet das neue Chancen – und zugleich Fragen, die weit über technische Aspekte hinausreichen.
Die drei Funktionen, die im Beitrag skizziert werden – automatische Stimmverteilung, stilistische Transformation und harmonische Optimierung – bilden den Kern aktueller KI-Anwendungen. Ergänzend kommt jedoch ein weiterer Bereich hinzu, der für die Praxis von großer Bedeutung ist: die Zerlegung von Stereoaufnahmen in Einzelsignale. Wer bisher mühsam Schlagzeugpattern oder Begleitfiguren aus einem vollen Mix herausgehört hat, kann heute einzelne Instrumente digital isolieren. Für Akkordeon-Arrangeure bedeutet das: Bassläufe, Begleitmuster oder Verzierungen lassen sich präzise extrahieren und für neue Bearbeitungen nutzbar machen. Damit wird KI nicht nur ein Werkzeug für kreative Prozesse, sondern auch eine technische Hilfe für Transkription und Notenerstellung.
Eine weitere spannende Frage, die im Artikel noch nicht beleuchtet wurde, betrifft die Rolle der Verlage. Wie positionieren sich etwa Schott oder die Editionen Halbig mit ihrer Akkordeonsparte zu dieser Entwicklung? Werden KI-gestützte Bearbeitungen in Zukunft ein Thema für die verlegerische Praxis sein – oder überwiegt die Skepsis, wenn es um Qualität, künstlerische Handschrift und Urheberrechte geht? Bislang gibt es dazu kaum offizielle Stellungnahmen, doch die Diskussion dürfte in den kommenden Jahren an Fahrt aufnehmen. Eines müssen Orchester und Vereine auf jeden Fall beachten – Auch bei der Arbeit mit KI müssen rechtliche Grenzen beachtet werden. Denn ein Arrangement ist nicht einfach eine Notierung, sondern eine schöpferische Bearbeitung. Bei geschützten Werken darf eine solche Bearbeitung ohne Genehmigung nicht veröffentlicht oder aufgeführt werden. Einen verständlichen Überblick, was erlaubt ist und wo Grenzen liegen, bietet frag-amu.de. Für Vereine bedeutet das: Auch wenn KI vieles erleichtert, ersetzt sie nicht die Sorgfalt im Umgang mit Urheberrechten.
Am Ende bleibt die Frage, ob Vereine ihr Repertoire künftig allein durch KI erweitern können. Wahrscheinlich nicht. Die Maschine liefert Vorschläge, Bausteine und Transkriptionen – doch die musikalische Entscheidung, ob eine Fassung klanglich funktioniert, bleibt beim Menschen. Gerade im Akkordeonorchester, wo Klangfarben stark von Registerwahl, Balance und Spieltechnik abhängen, braucht es weiterhin das Urteil erfahrener Musikerinnen und Musiker. So deutet vieles darauf hin, dass KI im Verein nicht die Rolle des Arrangeurs ersetzt, sondern ihn unterstützt. Sie ist ein Werkzeug im Dienst der musikalischen Praxis – ein Werkzeug, das das Ohr schärfen, Zeit sparen und neue Impulse geben kann.
Über den Autor
Michael Schönstein verbindet die Welt der Musik mit strategischem Management. Als Dirigent, Musikpädagoge und Coach leitet er sinfonische Blasorchester. Gleichzeitig ist er als Marketing- Experte in der Medien- und Softwarebranche tätig.
Die Synergien aus beiden Bereichen – strategisches Denken, Führungskompetenz und kreatives Gestalten – nutzt er, um sowohl musikalische als auch organisatorische Strukturen weiterzuentwickeln.
Mehr unter www.michael-schoenstein.com
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