In den Ensemblestücken mit minimalistischen Melodieelementen und Wiederholungen – mit Variationen und Improvisionen – experimentiert Servais Haanen gerne mit ungeraden Taktarten. Mit „Die Fröhliche“ wurde der erste Programmteil eröffnet – „so sollen die Gäste nach dem Konzert nach Hause gehen,“ meinte Haanen – und mit der „Reise nach Irgendwo“ beendet – in Anspielung an die aktuelle Weltlage. Es ist Weltmusik, die nicht mit den üblichen Kategorien wie Pop, Jazz oder Klassik zu greifen ist, wie auch die Kompositionen der anderen Akteure.
Die Musik von Andrew Waite hat traditionelle schottische, irische und englische Wurzeln, die sich mit Einflüssen aus diversen anderen Genres mischen – wie Jazz, Gypsy Jazz, Bluegrass, Funk und Klassik. Mit „Blue bonnets over the border“ nahm er das Publikum gleich für seine Musik und seine Spielweise ein. Im zweiten Teil gab es ein Ständchen für seine Nichte, die in Glasgow Geburtstag feiert. Außerdem spielte er einen Set von drei Reels gemeinsam mit dem sardischen Duo, Franziska Hatz und Servais Haanen. Peppino Bande brachte Klänge des Mittelmeers ein. In „Tres Tempos“ glänzte er mit sardischen Tänzen und einem musikalisch ausgereiften Spiel als Solist auf dem Organetto. Mit Roberto Tangianu und seinen Launeddas ist er seit vielen Jahren mit einem gemeinsamen Musikprojekt in Italien und Europa unterwegs. Dieses für die sardische Musik typische Holzblasinstrument, dessen Ursprünge bis in die Urzeit zurück reichen, besteht aus aus zwei kürzeren Melodierohren und einer längeren Pfeife für den zur Melodie passenden Dauerton und wird mit der Zirkularatmung zweistimmig polyphon gespielt. Der laute und metallische Klang der Launeddas erinnert an die Härte und den Charme der sardischen Landschaft. Viele Zuschauende dürften es wohl das erste Mal gehört haben und waren schon beim ersten Duostück begeistert. Und sie konnten sogar im zweiten Teil als Solo auf diesem Instrument einen virtuosen Tanz erleben, etwas unterstützt von Johanna Stein, der vielseitigen, unkonventionellen und Akkordeonale erfahrenen Cellistin, die im Wesentlichen den Dauerton der längeren Pfeife rhythmisch unterstützte, das war ein Programmpunkt ganz ohne Akkordeon, der trotzdem begeisterte.
Die aus der Steiermark stammende und in Wien lebende Franziska Hatz entpuppte sich als wilde Frohnatur und präsentierte sich auch als Sängerin und Jodlerin bei „Angst“ und „Sphäre“. Begleitet wurde sie zunächst von Peppino Bande und Johanna Stein, und beim zweiten Stück von Roberto Tanianu, Johanna Stein, der spanischen Akkordeonistin Helena Sousa Estévez und Servais Haanen – die Reise ging nicht nur in die Berge, sondern sogar in den Weltraum. Besonders gut kam im zweiten Programmteil ihr englisch gesungenes Lied „Just for Decoration“ vom „Almrausch“ an – sie musizierte mit Andrew Waite, Johanna Stein und Servais Haanen. Dieser berichtete vor seinem Auftritt dann, dass er in seiner Kindheit an der Maas zusammen mit seinem Freund Mark viele Abenteuer erlebt hatte – von Skeletten, die weiß gekocht wurden, und einer Kanonenkugel, deren Pulver sich schließlich in einer Stichflamme entzündete. Seine Erinnerungen hat der Meister der feinen Klänge in dem munteren Stück „Just for Fun“ brillant vertont – er wurde auch begleitet von Johanna Stein. Die Cellisten beeindruckte im zweiten Programmteil mit ihrer etwas mystischen Komposition „Carnevale“, die eher einen fahrenden Jahrmarkt beschreibt. Begleitet wurde sie mit dem Akkordeon von Helena Sousa Estévez.
Einen Ausflug in die klassische Musik unternahm die vielseitige Helena Sousa Estévez. Für die spanische Musikerin „ist das Akkordeon das wunderbarste, vollständigste und vielfältigste Instrument, das es gibt,“ so erklärte Haanen in der Anmoderation. Sie interpretierte eine Sonate des italienischen Komponisten Giuseppe Domenico Scarlatti (1685-1757) in g-Moll – eine bei Akkordeonisten mit MIII-Melodiebass sehr beliebte Musik. Allerdings ohne „Überschlagtechnik“, wie es am Klavier notwendig ist, weil ihre beiden Hände jeweils drei Knopfreihen in gleicher Anordnung links und rechts bedienen. Im zweiten Teil beeindruckte sie mit zwei Sätzen aus der zeitgenössischen Suite „Onion Ballet Suite for Accordion“ des japanischen Komponisten Takashi Yoshimatsu, der klassisch im westlichen Stil komponiert. Auch ohne ihre einleitenden Sätze auf Spanisch war die naturbezogene und wohl klingende Musik unmittelbar verständlich.
Bei der Ansage des letzten Stückes – dass das Konzert sich dem Ende entgegen neigte, tat nicht nur den Zuschauenden, sondern auch dem Moderator leid – stellt Servais Haanen noch einmal alle Musikerinnen und Musiker vor und verschaffte ihnen den verdienten Applaus. Ein Potpourri sardischer Tänze, das Peppino Bande geschrieben hat, im Ensemble bildete einen wirkungsvollen Abschluss, so dass die obligatorischen Zugaben mit Standing Ovations ohne Probleme erklatscht wurden. Servais Haanen präsentierte die gefällige Komposition „Einsamkeit“, allerdings nicht allein, sondern im Trio mit Andrew Waite und Helena Sousa Estévez. Und nach der zweiten Zugabe, einem Medley spanischer Tänze, das die spanische Akkordeonisten arrangiert hat, standen wieder alle Zuschauenden.
Fast drei Stunden vergingen im Fluge – und es machte Spaß, den Musikerinnen und Musikern zuzuhören, denen das gemeinsame Musizieren offensichtlich auch viel Freude machte. Hinter solch einem leicht wirkenden Abend steckt aber viel Arbeit, denn obwohl die Akteure erst einen Tag vor der Premiere das erste Mal zusammengespielt haben, haben sie doch fast ein Jahr diese Auftritte vorbereitet – mit dem Austausch von Noten und MP3-Aufnahmen und der Abstimmung, wer was mit wem spielt und wer was wie arrangiert.