Vereinsmanagement: Mediatorin Regina Ritter im Interview
Regina Ritter, studierte Wirtschaftspsychologin, Mediatorin und Moderatorin, hilft Unternehmen, Familien und ehrenamtlichen Organisationen bei der Bewältigung von Herausforderungen. Ein großes Thema im Ehrenamt: Konfliktmanagement in Verein. Die „Harmonika International“ hat mit ihr gesprochen.
Aus welchem Grund werden Sie von Vereinen am häufigsten gebucht?
Wenn man ins letzte Jahr schaut, dann war das sicherlich am häufigsten das Thema Zukunftsperspektive. Viele Vereine stellen sich die Frage ‚Wie geht es bei uns weiter?‘ Das hat natürlich viel damit zu tun, dass sich unser gesellschaftliches Umfeld verändert. Verschiedene, auch finanzielle, Initiativen unterstützen Zukunftswerkstätten. Und so fragen sich viele: ‚Können und wollen wir so weitermachen wie bisher?‘ Das ist oft der Aufhänger der Anfrage. Manchmal passiert es dann aber, dass noch andere Themen dahinterstecken und zutage treten.
Das klingt für mich jetzt weniger nach einer Mediationsaufgabe, die Sie da erfüllen sollen, sondern mehr nach einer strategischen Beratung.
Es kommt auch vor, dass es ganz konkrete Konflikte gibt, aber es sind zunächst oft Moderationsaufgaben. Gerade wenn Vorstände schon sehr lange im Amt sind, sprechen sie sich für jemanden aus, der von außen kommt, der eine Perspektive einnimmt, die eine gewisse Neutralität hat und es erlaubt, alle Perspektiven, die im Verein da sind, zu sehen. Echte Konflikte werden im Eingangsgespräch zunächst mal nicht benannt; die werden dann aber immer deutlicher, wenn man z. B. gar nicht mehr miteinander kommunizieren kann, ohne in emotionale Aufregung zu kommen. Meine Aufgabe ist es dann, einen Raum zu schaffen, wo alle ganz frei und unbefangen miteinander umgehen können. Das ist oft sehr entlastend für den gesamten Verein.
Sie sehen hier also auch das Paradoxon, dem man häufig im privaten Kontext begegnet: Bei Spannungen geht man der Konfrontation aus dem Weg, obwohl man weiß, dass sie für eine lösungsorientierte Problembehandlung unumgänglich ist?
Ich stimme Ihnen absolut zu! Aber jeder Verein, der sich bei mir oder Kolleg*innen meldet, ist ja schon mal bereit, etwas zu tun. Wenn ich als externe Person von allen akzeptiert werde, kann ich mich in einer Frische und Freiheit in den Fragen und Nachfragen reinbringen. Sie haben das Privatleben angesprochen: Je länger wir uns kennen, umso mehr verlieren wir diese Frische, auch etwas zu fragen. Wenn man jemanden neu kennenlernt, ist man ganz neugierig, will alles irgendwie wissen, macht sich keinen Kopf, was der andere dabei denkt, und fragt einfach – im Unterschied zu langjährigen Beziehungen. So ist das natürlich auch in Vereinen, wo es bestimmte Denkmodelle im Kopf gibt: ‚Der reagiert ja immer so und er macht es ja immer so.‘
Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Erfahrung?
Ich erlebe es immer wieder, dass ich die Frage stelle ‚Sie machen ja eigentlich fast alles! Wie kommt es denn, dass die Verantwortung auf so wenigen Schultern liegt?‘ und die Vorstandsperson antwortet: ‚Es liegt an mir, weil ich über die Jahre auch alles so ein bisschen an mich gezogen habe; weil ich das Gefühl habe, dass es mir am schnellsten von der Hand geht und ich zufrieden bin, wenn es so läuft, wie ich mir das vorstelle.‘ Wenn so eine Selbsterkenntnis da ist, müssen wir meistens alle lachen, weil klar: Wenn jemand viel Raum einnimmt, gibt es einfach wenig Platz für andere. Das sind dann manchmal Situationen, die auch ein bisschen hausgemacht sind. Schwierig wird es, wenn jemand seinen Anteil an solchen Entwicklungen nicht sieht.
Kommen die Vereine erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist oder auch präventiv?
Auch präventiv. Wir haben schon eine Bewusstseinsveränderung in den Vereinen, dass es höchst professionell ist, sich auch mal den Blick von außen zu holen. Und das Präventive hilft uns natürlich in der Arbeit mehr als der akute Konflikt, bei dem es erstmal nur darum geht, die Situation zu befrieden.
Wie kann man drohende Differenzen frühzeitig erkennen? Was sind Anzeichen oder Vorboten für Konflikte?
Das sage ich auf der psychologischen Ebene: Unsere Gefühle kündigen das ziemlich deutlich an. Wir kennen das sowohl aus dem Privatleben als auch aus dem geschäftlichen Umfeld und dem Ehrenamt: wenn in uns Ärger hochkocht, wenn wir traurig, niedergeschlagen, zornig, frustriert sind; wenn wir diese Gefühlspalette in uns zulassen. Das ist ein deutlicher Indikator, dass ein Teil meiner Bedürfnisse schlecht versorgt wird.
Mein Eindruck ist, dass generell eine gewisse empathielose Verrohung in der Kommunikation zunimmt. Man kommt auf 180 zur Tür rein und schreit in der Gegend herum, statt sachlich das Problem zu benennen und nach der Sichtweise des anderen zu fragen. Ist das auch ein Thema?
In der Mediation versucht man, die Konfliktparteien ins Verstehen zu bringen. Heißt, man sorgt dafür, dass jede*r dem oder der anderen mal wieder zuhört. Das heißt nicht, dass man immer akzeptiert, was der oder die andere sagt. Da hilft eine Haltung im Verein: Wie gehen wir vor, wenn wir einen Konflikt haben? Achten wir darauf, dass wir eine einfühlsame Sprache verwenden, uns einen ruhigen Ort für den Austausch suchen? Wenn man sich ein paar Regeln für das Miteinander gibt, ist das sicherlich hilfreich.
Eine Art Verhaltenskodex mit einer Charta an Regeln?
Ja, unbedingt. Ein paar Regeln, die man rausholt, wenn es heiß hergeht, würde ich unbedingt empfehlen! Man sollte sie in guten und entspannten Zeiten miteinander beschließen und sich daran erinnern, wenn was passiert.
Das nehme ich immer wieder als klaren Punkt wahr. Wie regelmäßig bin ich da? Wie pünktlich komme ich? Wie groß ist die Karenzzeit, die da erlaubt wird, dass man später eintrudelt? Wie bin ich vorbereitet? Habe ich vorher geübt? Wie sind die Absprachen? Das ist ein richtiges Spannungsfeld und das Problem dabei ist oft die fehlende Klarheit der Regeln innerhalb des Ensembles. Was hat man vielleicht einschleifen lassen und lange nichts gesagt? Wo hat man einfach nur die Augen verdreht, wenn Person X zum dritten Mal zu spät kommt und dann noch mit der Nachbarin oder mit dem Nachbar quatscht? Das Problem ist oft, dass das nicht geklärt wird. Und dann rumort es auf eine ungute Art und es fehlt die Aussprache.
Im Hobbybereich tun sich viele nachvollziehbarerweise schwer mit Konsequenzen. Was raten Sie?
Ich habe zum Teil mit Vereinen zu tun, die hochprofessionell arbeiten und einen hohen Anspruch haben; in die man also gar nicht erst reinkommt, wenn man nicht eine bestimmte Qualität einbringen kann und will. In solchen Vereinen sind manche Punkte einfach nicht verhandelbar. Da gibt’s die angesprochene Klarheit. Auch im Hobbybereich braucht es immer wieder mal eine Justierung des eigenen Werteverständnisses. Für die Hygiene für alle im Verein rate ich dazu, das konstruktiv zu thematisieren, so dass es nicht zu noch mehr Spannungen führt.
Die Kehrseite zu vieler Regeln könnte sein, dass man Mitglieder oder Neuzugänge, die man so sehr herbeisehnt, vergrault und sich daher dafür entscheidet, bei bestimmten Personen auch mal ein Auge zuzudrücken…
Das wird aber definitiv nicht zum Frieden führen. Davon rate ich total ab! Wir mögen es in der Regel nicht, wenn jemand – aus welchem Grund auch immer – eine ständige Sonderbehandlung bekommt.
Viele, insbesondere junge, Menschen wollen sich nicht festlegen und langfristig binden. Ein Trend geht daher zu projektbasierten Strukturen. Das birgt aber sicherlich nicht nur Vorteile, sondern auch Konfliktpotenzial, oder?
Definitiv! Manche Vereine sind groß genug, so dass sie bei mehreren Ensembles verschiedene Strukturen haben können, auch Projektorchester. Dieses Thema führt aber immer wieder zu interner Konkurrenz, wenn es darum geht, wer den Verein trägt und unterhält, wer Mitgliedsbeiträge zahlt und sich bei Veranstaltungen wie Hocketse und Weihnachtsbasar einbringt.
Wäre es dann eine Lösung, den Verein grundsätzlich als Projektensemble zu strukturieren?
Das würde ich generell nicht unterschreiben. Für ein kleines Orchester kommt das vielleicht nicht in Frage, das denkt eher mal in Richtung Kooperationen. Es ist sicherlich nicht die Lösung, nur noch in Projektstrukturen zu denken, weil es auch noch genügend Vereine und Menschen gibt, die das Musizieren als Hobbys sehen und für die Gemeinschaft, Freundschaft, geselliges Zusammensein und soziale Kontakte eine zentrale Rolle spielen. Da muss man wirklich ganz individuell prüfen, was passt.
Wo knackt es Ihrer Beobachtung nach noch häufig?
Beliebte Aufhänger sind Zuständigkeiten und Finanzen und die Stückauswahl. Teilweise gibt es Diskussionen, dass man bestimmte Liedtexte nicht mehr präsentieren möchte, weil sie nicht mehr zeitgemäß sind, z. B. der alte Song von Cliff Richard ‚Rote Lippen soll man küssen‘. Stellenweise werden auch andere Formen der Partizipation gewünscht: ein größeres Vorstandsteam, Aufgabenverteilung an Menschen, die nicht Teil des Vorstandes sind. Ein weiteres großes Spannungsfeld, das mir immer wieder begegnet, sind die Chorleitenden oder Dirigent:innen. Da sie so eine exponierte Stellung haben, sind sie oft ein Quell der Freude, aber auch manchmal ein Quell der Spannungen, weil sie durch die Art und Weise, wie sie agieren, unglaublich viel Gutes bewirken können, manchmal aber auch richtig Reibung verursachen. Und auch da stellt sich die Frage, mit welcher Haltung der Verein an ein solches Spannungsfeld herantritt.
Demokratie, Harmonie, Partizipation und Bedürfnisbefriedigung sind in der Theorie eine super Sache. Aber was mache ich, wenn ich mich nicht so recht artikulieren kann, weil ich meine Bedürfnisse vielleicht selber gar nicht so genau benennen kann?
Das gibt es auch. Dann empfehle ich, einfach mal ein bisschen abzuwarten und mit sich selbst geduldig zu sein. Und noch etwas: Manchmal sind 80% gelöster Probleme in einem Verein auch genug. Man muss sich vielleicht auch mal vom Anspruch der 100% verabschieden, sollte ein bisschen relaxen und gelassener sein. In unserer vielfältigen Gesellschaft brauchen wir eine gute Toleranz im Miteinander. Gerade in Vereinen kann man das gut trainieren: Dort sind Menschen, die haben zumindest in einer Sache etwas gemein: Sie lieben Musik, sie lieben es, das Instrument zu spielen, und deswegen kommen sie zusammen. Das ist doch schon das Verbindende! Und wenn wir jetzt noch ein bisschen großzügig im Miteinander sind, dann sehen wir sicherlich noch viel mehr, was uns verbindet. Und wenn es mal nicht so gemacht wird wie in den letzten 20 Jahren, dann ist das halt ein neuer Weg. Das wäre eine Haltung, wo man vom Herzen lernt, und eine gewisse Großzügigkeit hat – auch dem anderen gegenüber. Und die ist sicherlich sehr hilfreich im Verein und in unserer Gesellschaft.
Liebe Frau Ritter, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr zu Regina Ritter unter www.reginaritter.de.