Vereine zwischen Engagement, Haltung und rechtlichen Grenzen
„…die kulturelle Vielfalt, die sich in einem Rahmen von Demokratie, Toleranz, sozialer Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung der Völker und Kulturen entfaltet, [ist] für Frieden und Sicherheit auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene unabdingbar…
…[die] Bedeutung der kulturellen Vielfalt für die volle Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in anderen allgemein anerkannten Übereinkünften verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten [wird gewürdigt]…“
UNESCO
Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen
Der Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO), Dachverband von bundesweit bzw. überregional agierenden Chor- und Instrumentalmusikverbänden, somit auch des Deutschen Harmonika-Verbands, verweist in seiner Satzung auf die Richtlinie der UNESCO zur kulturellen Vielfalt, die eingangs dieses Artikels zu lesen ist.
Kultur, damit auch Musik, ist dementsprechend nicht werteneutral.
Sie ist ein Mit-Garant für Vielfalt, Frieden und Demokratie, wenn sie sich selbst für diese Werte einsetzt. Das Menschenrecht „Freiheit des Kulturlebens“ (Menschenrechtserklärung, Artikel 27) und das Kinderrecht „Beteiligung an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben, staatliche Förderung“ (Artikel 31) sind somit auch Pflichten von Musikvereinen und -verbänden: Engagement für die kulturelle Vielfalt im Land und Haltung zeigen, wo diese Rechte in Frage gestellt werden.
Im März des letzten Jahres positioniert sich der BMCO klar „für Menschenrechte und Demokratie“ und schreibt: „Die Zunahme antidemokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen und Verhaltensweisen sowie von Rassismus und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft betrachten wir mit großer Sorge und stellen uns entschieden dagegen.“
Antidemokratische Kräfte lehnen Vielfalt und eine menschenrechtsbasierte Demokratie ab. Kern von rechtsextremer Ideologie ist u. a. die Forderung einer „Homogenisierung des Volkes“, das Gegenteil von Vielfalt und Pluralismus. Dies stößt in dasselbe Horn, wie die rassistische Idee der „Remigration“ oder des Ethnopluralismus, der Menschen nach Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis definiert. Um solche programmatischen Zielsetzungen zu erreichen, werden Strategien entwickelt, wie ein „Marsch durch die Organisationen“, also durch Vereine und Verbände, um sich und die eigene Ideologie stärker in der Bürgergesellschaft zu verankern.
Diese gezielte Unterwanderung der Zivilgesellschaft ist das eine, das andere der Umgang in den Vereinen und Verbänden vor Ort zu Fragen von Haltung und Abgrenzung.
„14,3 Millionen Menschen – und damit fast 20 % aller Menschen in Deutschland – machen in der Freizeit Musik. Sie alle fördern Gemeinschaft, vermitteln demokratische Werte und Offenheit für das Andere, das noch nie Gehörte oder Gesehene. Gemeinsam zu musizieren, funktioniert nur mit Respekt für andere und hält auch unterschiedliche Meinungen aus. Rücksichtnahme und Toleranz enden aber dort, wo Demokratie und unteilbare Menschenrechte bedroht oder in Frage gestellt werden. Daher bestärken wir als BMCO ausdrücklich die vielen hunderttausend Menschen, die sich landauf, landab für unsere Demokratie und gegen Extremismus engagieren“, so das BMCO-Präsidium in seiner Positionierung von 2024.
Somit, darf ich als gemeinnütziger Verein eigentlich Haltung zeigen? Und wenn ja, wie?
Gemeinnütze Vereine und Verbände dürfen sich als Teil der kritischen Zivilgesellschaft für gesellschaftspolitische Themen einsetzen. Das Prinzip der „wehrhaften“ bzw. „streitbaren“ Demokratie sieht das Engagement für die freiheitlich demokratische Grundordnung und damit auch gegen Extremismus vor. Dieser Schutzmechanismus wurde schon angesichts der demokratischen Disruptionen in der Weimarer Republik konzipiert und dann nach der NS-Diktatur 1945 als Prämisse der postfaschistischen Bundesrepublik eingeführt. So ist es Vereinen und Verbänden erlaubt, sich öffentlich zu positionieren, sei es durch ein Statement oder durch die Beteiligung an einer Demonstration. Allerdings gibt es Grenzen, die gut zu beachten sind.
Parteipolitisch neutral heißt nicht gesellschaftspolitisch neutral
Gemeinnützige Vereine und Verbände müssen parteipolitisch neutral sein. Sie dürfen also beispielweise nicht prinzipiell nur einer Partei X ihre Räumlichkeiten vermieten und einer anderen Partei Y den Zugang verwehren. Wenn es Unterschiede in der Behandlung von Parteien gibt, so muss dies stets sachlich begründet werden (entlang von Haltungen, Handlungen und Inhalten) und sollten Ausnahmen darstellen. Dies wurde u. a. in einem rechtswissenschaftlichen Gutachten von Prof. Dr. Martin Nolte herausgearbeitet und in einer Praxisbroschüre vereinfacht dargelegt.
Auch die Positionierung von Vereinen und Verbänden über ihren Satzungszweck hinaus ist vereinzelt und mit Bezug zur tagespolitischen Aktualität möglich. Dies hat das Bundesfinanzministerium in seiner Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung im Jahr 2022 präzisiert: „In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips […] ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z. B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus).“ Das bedeutet nach aktueller Rechtsprechung, dass beispielsweise der Deutsche Harmonika-Verband sich
- zu seinem Satzungszweck „Förderung der Volks- und Berufsausbildung“ öffentlich äußern und damit in einem gewissen Rahmen auch Kulturpolitik machen darf und
- dass der Verband oder ein Verein auch ab und an zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung beziehen darf, die über den eigenen Satzungszweck hinausgehen. Dies sollte allerdings in einem sehr eingeschränkten Maße stattfinden.
Wichtig ist dabei, dass Parteien nie als solche grundsätzlich kritisiert werden dürfen. Dies würde dem Gebot der parteipolitischen Neutralität des Gemeinnützigkeitsrechts entgegenstehen.
Es bleibt aber bei dem Prinzip, dass parteipolitische Neutralität nicht automatisch eine gesellschaftspolitisch-neutrale Haltung bedeutet. Die Haltung sollte aber mit Bezug auf die eigenen, in der Satzung niedergeschriebenen Werte und Zwecke ausgedrückt werden. Das bedeutet, dass die Satzung von Vereinen und Verbänden ihr Engagement für bestimmte Werte zeigen sollte. Macht die Satzung dies nicht deutlich, ist eine Positionierung entlang der eigenen Werte schwierig(er). Dies gilt auch für die Frage nach Sanktionen und Ausschluss im Falle von vereinsschädigendem Verhalten. Auch hierzu gibt ein weiteres Rechtsgutachten und eine Praxisbroschüre, die darlegen, was alles vereinsschädigendes Verhalten sein kann, welche Vorkehrungen es braucht (u. a. eine entsprechende Sanktionsbestimmung in der Satzung) und welche Schritte im konkreten Fall gemacht werden müssen.
Der Grundsatz, dass die Werte des Vereins in der Satzung dargelegt werden sollten, gilt ebenfalls für die Beteiligung von Vereinen und Verbänden an Demonstrationen. Die Versammlungsfreiheit gilt auch für gemeinnützige Vereine und Verbände. Grenzen sind an dieser Stelle beispielsweise Aufrufe zur Gewalt, Diskriminierung (und andere Verstöße gegen das Grundgesetz) sowie die parteipolitische Neutralität. Kurz: Beteiligung an Demonstrationen gegen eine (demokratische) Partei sind nicht erlaubt; Demonstrationen, die konkrete Inhalte von Parteien kritisieren, sind ausnahmsweise ggf. möglich, wenn der Verein oder Verband glaubhaft machen kann, dass diese Inhalte den eigenen, in der Satzung niedergeschriebenen Werten widersprechen. Dies sollte aber mit Bedacht gewählt werden (entsprechende Demonstrationsaufrufe sollten zwingend geprüft werden) und nicht in der 6-Wochenfrist vor einer Wahl stattfinden.
Die Werte von Vereinen und Verbänden existieren idealerweise nicht im luftleeren Raum, sondern sind verankert in unseren Grundwerten, den Kinder- und Menschenrechten und nehmen beispielsweise Bezug auf die Richtlinie der UNESCO zur kulturellen Vielfalt. Hilfreich ist auch, wenn die Werte innerhalb der Organisation, insbesondere den Mitgliedern, bekannt sind oder es gar einen Prozess mit allen Akteur*innen zur Werteklärung und Leitbildentwicklung gibt bzw. gegeben hat. Ein Leitbild ersetzt aber nicht die Verankerung der Werte in der Satzung. Eine solche Werteklärung kann die Glaubwürdigkeit nach Innen und Außen bei Positionierungen sowie die gemeinsame Identität als Organisation stärken. Sie hilft, „rote Linien“ zu definieren und einzuhalten und gemeinsam als Verein oder Verband Haltung zu zeigen, ob bei Fragen zum Umgang mit Vereinsmitgliedern oder bei öffentlichen Positionierungen.
Fazit
Kultur ist wertebasiert; sie hat Haltung und kann demokratiestärkend sein. Gemeinnützige Musikvereine und -verbände müssen in ihrem Tun stets parteipolitisch neutral sein. Das bedeutet nicht eine gesellschaftspolitische Neutralität. Positionierungen und „Haltung zeigen“ sind insbesondere dann rechtssicher möglich, wenn die eigenen Werte der Organisation in der Satzung deutlich gemacht sind und es sich innerhalb der Satzungszwecke bewegt.
Das BMCO-Präsidium schreibt in ihrem Schlusssatz:
„Wir schätzen und unterstützen die Vielfalt und die gelebte Demokratie in unseren Ensembles und rufen die Amateurmusikszene ausdrücklich dazu auf, diese kostbaren Werte gemeinsam gegen Angriffe zu schützen und zu verteidigen.“
Über die Autorin
Nina Reip studierte Politische Wissenschaften und Geschichte an der RWTH Aachen. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und Kabinettschefin zweier Bildungsminister in der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. An der ostbelgischen Hochschule AHS erarbeitete sie Konzepte zur politischen Bildung für das belgische Bundesland. Ab 2018 führte sie die Geschäftsstelle des Netzwerks „Sport & Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde“ bei der Deutschen Sportjugend. Seit 2025 ist sie Referentin für Demokratieförderung im Deutschen Olympischen Sportbund. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Demokratiebildung, Rechtsextremismusprävention, Gemeinnützigkeit und Werte des Sportes.
Mehr von Nina Reip hören im Podcast: https://tauziehen-podcast-politik-und-sport.podigee.io/