Das Jugendfolkorchester überzeugt mit künstlerischer Qualität und Gemeinschaftssinn
Für voll besetzte Zuschauerränge, eine beeindruckende künstlerische Qualität und großartige Stimmung sorgte das unter dem Dach von Profolk neu gegründete Jugendfolkorchester am 6. und 7. Juli 2024 auf dem Rudolstadt-Festival. Wie es gelungen ist, dass die Mitwirkenden innerhalb nur einer Woche zu einer Gemeinschaft zusammenfanden, und wie es überhaupt zur Gründung des Orchesters kam, berichtet die Projektleiterin Gudrun Walther im Gespräch mit uns.
Begonnen hat alles mit einer Idee, die die Sängerin, Violinistin und Akkordeonistin Gudrun Walther nicht mehr losließ: In anderen Ländern sind Jugendfolkprojekte mit traditioneller Musik ganz selbstverständlich – warum also nicht auch in Deutschland eines gründen? „Der entscheidende Kick zur Initialzündung war ein Gespräch mit Bernhard Hanneken, dem künstlerischen Leiter des Rudolstadt-Festivals, beim DeutschFolk-Festival 2021 in Jena“, erinnert sich die Musikerin. „Ich habe ihm erzählt, dass ich mir wünschen würde, dass es so etwas gibt. Und er hat signalisiert: Wenn du das machen willst und kannst, dann biete ich die Plattform dafür.“ Diese Zusage half – nicht zuletzt, um Sponsorengelder zu akquirieren – und war zugleich auch ein großer Vertrauensvorschuss. „Spätestens ab da war klar: Es muss etwas Besonderes werden, eine richtige Stage-Präsentation, die nicht nach Musikschulvorspiel aussieht“, erzählt Gudrun Walther.
Dass dieses Vorhaben gelungen ist, zeigte bereits ein erster Blick auf die Große Bühne in Rudolstadt. Wer nach Notenständern oder auch einem Dirigat Ausschau hielt, suchte vergebens. Die vierzig Musikerinnen und Musiker im Alter von 12 bis 25 Jahren spielten auswendig, trafen eigenständig alle Einsätze und kündigten auch ihre Stücke selbst an.
Klingt nach Drill im Vorfeld? Keineswegs: Das Referentinnen- und Referententeam, neben Gudrun Walther bestehend aus Jürgen Treyz, Sabrina Palm und Alex Froitzheim, setzte auf flache Hierarchien und Gemeinschaftssinn. „Das fängt damit an, dass man keinen Dirigenten hat, und endet damit, dass nicht der Konzertmeister die Hürde ist, über die man erst mal hierarchisch drüber muss“, erklärt die Projektleiterin. „Ein Kontrabassist zum Beispiel hat ja in einem normalen Orchester nichts zu sagen. Bei uns hingegen durfte er durchaus Beiträge leisten und sich überlegen, welche Linien er spielen will. Das war auch einer der Hauptpunkte, die bei unserer Abschlussfeedbackrunde vor allem von denjenigen Teilnehmenden als sehr positiv angemerkt wurden, die eine klassische musikalische Vorbildung haben.“
Die gemeinsame Probenphase des Orchesters fand im Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg statt und begann lediglich fünf Tage vor den Auftritten. Die rund zwanzig Stücke, die einstudiert werden sollten, hatten die Teilnehmenden nach einem digitalen Auftakttreffen via Zoom vorab im Frühjahr zugeschickt bekommen. „Hier waren auch Noten dabei, aber wir haben von Anfang an gesagt: Lernt die Stücke nach Gehör“, erzählt Gudrun Walther. Durch das Auswendigspielen bleibe einfach mehr Kapazität für das Hören und Fühlen – ein weiterer Punkt, den die Teilnehmenden beim Abschlussfeedback mehrfach als sehr positiv genannt hätten. In der Vorbereitung hieß das: Aufnahmen erstellen, für jedes Stück jeweils in verschiedenen Tempi, damit sie gut mitgespielt und dabei gelernt werden konnten.
Das von Gudrun Walther und Jürgen Treyz ausgewählte Repertoire umfasste Musik aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, von Tanzmelodien aus Franken bis hin zu Auswandererliedern aus der Eifel des neunzehnten Jahrhunderts – selbstverständlich immer in Tonarten, die zu der Besetzung des Jugendfolkorchesters passten. Denn diese umfasste nicht nur klassische Orchesterinstrumente, sondern unter anderem auch Dudelsäcke, Akkordeons und eine Nyckelharpa. Arrangiert wurden die meisten Stücke erst vor Ort. „Im Probencamp haben wir mit den Jugendlichen ab dem allerersten Tag so gearbeitet, wie wir normalerweise mit unseren eigenen Bands oder in einem Ensemblekurs arbeiten“, erklärt Gudrun Walther. Taktstock und Taktangabe? Fehlanzeige, denn: „Es klingt einfach anders, wenn man Freiraum gibt, um musikalische Ideen einzubringen.“ Dieses Vorgehen habe auch dazu geführt, dass die Mitwirkenden automatisch Verantwortung für sich und ihre Mitspielerinnen und Mitspieler übernommen hätten. „Wir hatten ja zum Beispiel drei Dudelsäcke, und einer der Spieler ist schon sehr erfahren. Der hat die anderen einfach zur Seite genommen und gesagt: ‚Schaut mal, diesen Griff mache ich übrigens so. Und hier fällt es viel leichter, wenn man das etwas anders spielt …‘ Und so haben die drei sich ihre Satzprobe selbst organisiert“, erzählt Gudrun Walther. „Die Teilnehmenden hatten nicht das Gefühl, sie geben die Verantwortung bei uns ab, sondern: Wir sind eine Einheit, und wenn ich etwas sehe, das bessergehen könnte, dann gucke ich, dass das läuft.“
Um hinsichtlich der Eigenverantwortung und des Repertoires allen Altersgruppen gerecht zu werden, probte das Orchester einen Teil jedes Tages in einem jüngeren und einem älteren Ensemble. Dem Gemeinschaftssinn tat dies keinen Abbruch, denn auch außerhalb der Proben hatte sich das Leitungsteam, das neben den Referentinnen und Referenten durch die Betreuer Susan Coleman und Simon Pfisterer ergänzt wurde, einiges einfallen lassen. Auf dem Programm standen unter anderem ein Tanzabend, eine Schnitzeljagd und ein Pubquiz. Sogar das Thema „Bettgehzeit“ wurde gemeinschaftlich angegangen: „Die Jugendlichen haben oft die halbe Nacht musiziert“, erzählt Gudrun Walther. „Das mussten wir bei den Jüngeren natürlich bremsen. Und auch das hat sich von selbst geregelt, weil einige von unserem älteren Ensemble ganz lieb und freiwillig angefangen haben, jeden Abend ein Gutenachtlied für die Jüngeren zu spielen. Mit dem sind sie dann durch das Haus gezogen. Das war für die Jüngeren der Abschluss des Tages, und das hat wunderbar funktioniert.“
Sowohl auf als auch abseits der Bühne war der Auftakt des Jugendfolkorchesters also ein voller Erfolg – und es geht weiter! Vom 1. Oktober bis 30. November 2024 können sich interessierte junge Musikerinnen und Musiker ab zwölf Jahren für eine Teilnahme im kommenden Jahr bewerben.