Wie geht Zukunft?
Ein Dirigent und ein Vorstand um die 60 Jahre, eine Instrumtentallehrerin, ein Kassenwart, traditionelle Stücke und Auftrittsorte, ein Eintrag auf der Website der Gemeinde – funktionieren Musikvereine heute noch so? Ja, und möglicherweise auch sehr erfolgreich. Doch hängt das in diesen Fällen von besonderen Persönlichkeiten und günstigen Umständen ab. Was aber, wenn die Umstände nun nicht ganz so günstig sind? Wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich verändern?
»Wie können wir da noch mithalten?«, fragen sich viele Engagierte. »Und mit welchem Aufwand?« Engagement braucht es selbstverständlich immer, doch daran mangelt es in Orchestern selten. Viel wichtiger als noch mehr zu tun ist, die richtigen Stellschrauben zu kennen und effektiv an ihnen zu drehen. Das bedeutet zunächst: Reflexion – ein Überdenken der eigenen Vorstellungen, des Images, der eigenen Strukturen, Kommunikation und Angebote. Danach: Visionen entwickeln – Möglichkeiten zur Veränderung und gewünschte Zielgruppen erkennen, sich ihre Bedürfnisse bewusst machen. Und erst jetzt folgen Strategien – das eigene Image aktiv verändern, Zielgruppen ansprechen, gewinnen und binden.
Reflexion 1: Vereinsstruktur
Bedenken wir die gesellschaftlichen Veränderungen in unseren Vereinsstrukturen: Wo sind unsere Schwachstellen und wie trägt unsere Struktur dazu bei? Ab welchem Zeitpunkt und in welcher Form werden die verschiedenen Personengruppen eingebunden?
Vereinsarbeit wird dann bewältigbar, zukunftsfähig und zur Freude, wenn viele Personen und mehrere Generationen anpacken. Es ist wichtig, verschiedene Blickwinkel auf das Vereins- und Musikleben und Wünsche zu kennen. Das bedeutet auch, aktiv auf alle Geschlechter, Altersgruppen und Lebensweisen zuzugehen, indem die Personen nach ihrer Meinung und ihren Wünschen gefragt und die verschiedenen Perspektiven zusammengebracht werden. Zusätzlich sollte man Möglichkeiten finden, Fähigkeiten und Interessen der Mitglieder für den Verein zu nutzen. So kann sich ein motiviertes Verantwortungsgefühl für die eigene Gruppe oder Aufgabe ergeben – wenn die Person am Kern der Sache interessiert ist. Und was interessiert sie? Fragen Sie sie selbst! Bestärken Sie sie darin, dass ihre Expertise einzigartig und begehrt ist. (»Hättet ihr nicht Lust, unseren Social-Media-Kanal zu betreuen? Das Freizeitangebot des Vereins zu planen? Das würdet ihr bestimmt ganz hervorragend machen!«) Dabei ist es hilfreich, die Hemmung für Engagement zu senken, indem man eine Einführung in die Aufgabe anbietet, bei der Durchführung unterstützt und die Aufgaben nur projektweise verteilt. Kinder und Jugendliche sollten früh einbezogen werden, nicht nur weil sie spezielle Aufgaben übernehmen können, sondern auch, weil dadurch eine engere Bindung an den Verein entsteht.
Reflexion 2: Selbstverständnis und Image
Welche Personen sind im Verein? Wie sehen wir uns? Was macht uns aus? Warum sind wir im Orchester?
Wie treten wir auf – musikalisch und in der Öffentlichkeitsarbeit? Welches Image haben wir? Welche Menschen sprechen wir an? Wer kennt uns eigentlich und warum?
Wie stellen wir uns bestehende Mitglieder und neue Mitglieder vor?
Das Image beginnt im eigenen Kopf und im Selbstverständnis der Gruppe. Gemeinsam mit dem gesamten Orchester kann dafür eine Sammlung und Überlegung stattfinden – zum Probenbeginn an einer Tafel oder ausführlicher anstelle einer Probe: Wie sehen wir uns? Warum sind wir hier? Häufig genügt schon, die Antworten gemeinsam zu besprechen, um Diskrepanzen zu erkennen – aber auch, um sich bewusst zu werden, was alle verbindet, warum der Verein und das Musizieren für die Menschen wichtig ist. Diese Erkenntnisse machen den Mitgliedern den Wert ihres Ensembles bewusst und werden zu wirkungsvoller Mundpropaganda – die wiederum zu einem positiven Image beiträgt.
Was von dieser Sammlung ist für uns zentral, was nicht so wichtig? Mit dieser anschließenden Frage kann man sich zum Kern des gemeinsamen Selbstverständnisses vorarbeiten und gleichzeitig die Punkte erkennen, an denen Veränderung möglich wird.
Darüber hinaus ist es hilfreich, eine Vereinsidentität klar zu definieren und Nischen zu suchen, um sich von konkurrierenden Angeboten abzugrenzen und um gezielt über den Verein zu kommunizieren. Ein gemeinsam entwickelter Orchestername stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl genauso wie passende Logos, T-Shirts, Aufkleber etc.
Und auch das Musizieren kommuniziert viel: Aufführungsorte, Repertoire, Kleidungsstil, die Atmosphäre beim Musizieren, sowie das Verhältnis der Mitglieder zueinander und zur Leitung machen klare Aussagen für das Publikum, Probenbesuchende oder Projektteilnehmende.
Visionen: Veränderung und neue Mitglieder
Aus der Reflexion der eigenen Vorstellungen von neuen Mitgliedern kann erst einmal eine völlig wertfreie Sammlung von Gruppen im Einzugsgebiet erfolgen. Wen gibt es hier überhaupt? Wie sieht der Alltag dieser Menschen aus? Was haben sie für Interessen, Wünsche und Barrieren? Mit wem oder was konkurrieren wir in Bezug auf diese Gruppe? Von verschiedenen Alters- und Berufsgruppen über kulturelle, religiöse und Bildungshintergründe zu Menschen mit besonderen Bedürfnissen sollte hier alles gedacht werden dürfen.
Diese Überlegungen wirken nun natürlich auf den Verein zurück: Wie müssten wir unser Auftreten und unser Angebot weiterentwickeln, um diese Gruppen anzusprechen und ihnen ein Mitwirken zu ermöglichen? Wo sind unsere Grenzen, wo wagen wir Neuland? Was bietet sich z. B. durch Kontakte oder Kooperationen an? Wie können wir voneinander profitieren? Wie müssten sich dafür unsere Vereinsstrukturen und -arbeitsbereiche weiterentwickeln?
Neue Angebote können etwa ein zusätzliches Freizeitangebot sein, z. B. Ausflüge, Feste, Elterncafés und Seniorenrunden oder Musizierformate wie Singpatenschaften, Früherziehung, Familienmusizieren, Kooperationen mit Schulen, Kitas, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen, inklusive und multikulturelle Orchester, Kooperationen mit der Tanzschule, dem Sportverein, der Kunstschule oder dem Naturverein. Dafür können Sie sich von einer Recherche im Internet (etwa in der Projekte-Sammlung auf frag-amu.de) inspirieren lassen.
Strategien
Entwickeln Sie nun Strategien, um das Orchester anders oder verstärkt in der Öffentlichkeit darzustellen. Regelmäßige Medien- und Pressearbeit sowie besondere Aufführungsformen und Kooperationen sind hier genauso wirksam wie offene Projektensembles und Probentage, die zum Mitbringen von Freunden und zum Ausprobieren einladen. Häufig ergibt sich eine Strategie wie von selbst, wenn die Vision und die passende Ansprache genügend präzisiert wurden.
Die wirksamste Strategie ist jedoch die Veränderung von innen: Gewachsene Vorstellungen einer Vereinsgemeinschaft und der Formen der Zusammenarbeit, die Offenheit zur Verbindung von Altem und Neuem sowie die Begeisterung der eigenen Mitglieder über das Orchester werden ihre Früchte tragen.
www.frag-amu.de – Das Infoportal für die Amateurmusik
frag-amu-de ist das digitale Informationsportal der Amateurmusik. Mit vielen verschiedenen Angeboten, die Wissen, Praxis und Beratung bündeln, werden u. a. Fragen zum Orchestermanagement, zu musikalischen Themen, Finanzen, Steuern oder zum Datenschutz beantwortet – AMU, das schlaue Füchslein der Amateurmusik, hat auf so ziemlich alles eine Antwort. So findet man im »Lexikon« Artikel zu rechtlichen Fragen und zur Öffentlichkeitsarbeit oder in der Rubrik »Für die Praxis« praktische Tipps, Ideen und Impulse rund um das Muszieren. Selbstverständlich gibt es auch dort Informationen zu allen bundesweiten Förderprogrammen sowie Beispiele zu erfolgreichen Projekten. Zu dem geballten Wissen gelangen Sie über frag-amu.de
In regelmäßigen Abständen können sich Interessierte bei »Ausgefuchst! Wissen.Praxis.Austausch« online treffen. Jede Veranstaltung nimmt sich eines bestimmten Themenschwerpunktes an, zu dem Expertinnen und Experten Impulse und geladene Gäste wertvolle Beispiele aus der Praxis mitbringen. Die nächsten Ausgefuchst!-Sessions finden am 15. Juni zum Thema »Das sind wir – Auftritt. Image. Wirkung!« sowie am 6. Juli zum Thema »Ensemblepräsenz in der Öffentlichkeit stärken, Publikum gewinnen!« statt. Beginn ist jeweils um 19.00 Uhr. Um keine Termine zu verpassen, folgen Sie AMU einfach auf Instagram: instagram.com/frag_amu
Über die Autorin
Außer der Projektförderungen, die hier bereits vorgestellt wurden, bietet Neustart Amateurmusik ein breit aufgestelltes Kompetenznetzwerk. Hier arbeiten neben den Autorinnen und Autoren des Titelthemas dieser Ausgabe von Harmonika International weitere 24 Expertinnen und Experten aus 15 Verbänden des BMCO aus den unterschiedlichsten Fachgebieten an Unterstützungsangeboten für die Amateurmusikszene.
Für den Deutschen Harmonika-Verband e.V. (DHV) sind Sabine Kölz und Andreas Zimmermann sowie DHV-Geschäftsführer Johannes Wollasch im Kompetenznetzwerk tätig. Sie bringen sich im Arbeitsbereich 4 »Kreative Lösungen« ein und arbeiten dort an unterschiedlichen Projekten. Einen großen Teil nimmt dabei das Themenfeld »Vereine neu denken« ein, zu dem aktuell Hilfestellungen erarbeitet werden.
Bei Fragen melden Sie sich gerne jederzeit bei Sabine Kölz und Andreas Zimmermann: per E-Mail unter sabine.koelz@dhv-ev.de oder zimmermann@dhv-ev.de oder telefonisch unter +49 (0)7425 95992 24
Judith Werner vertritt den Deutschen Chorverband Pueri Cantores im Kompetenznetzwerk Neustart Amateurmusik. Sie ist Sängerin und Musikvermittlerin und gibt Fortbildungen zur Weiterentwicklung von Ensembles, Vereinen und deren Musizierformaten.
Weitere Informationen zu Neustart Amateurmusik finden Sie unter: https://bundesmusikverband.de/neustart/kompetenznetzwerk/