Strukturwandel bei den Frankfurter Spatzen
Mit dieser Frage hat sich der Vorstand der Frankfurter Spatzen Sport- und Kulturvereinigung 2018 e.V. schon seit einiger Zeit beschäftigt. 2011 gestartet und als eigenständiger Verein 2018 aus einem großen Frankfurter Sportverein gegründet, haben sich die Verantwortlichen vom ersten Tag an maximal auf den primären Vereinszweck, der integrativen Förderung von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, fokussiert. Aktuell hat der Verein über 100 Mitglieder aus fast 20 verschiedenen Nationen – von internationalen Bankangestellten bis hin zu Menschen mit Fluchthintergrund und aus Frankfurter Brennpunktvierteln.
Kern der Vereinsarbeit ist die jährliche Aufführung eines Musicals von der ersten Idee bis zur Präsentation auf der Bühne. Die Vereinsarbeit wird getragen durch einen kleinen, aber hochmotivierten Vorstand und wenige, aber nicht minder engagierte Ehrenamtliche sowie musikalische bzw. pädagogische Fachkräfte auf Honorarbasis. Es gibt Gesangs-, Tanz-, Theater- und Instrumentalangebote für Kinder und Jugendliche. In einem Chor und einem Orchester können auch die Eltern mitwirken. In Summe eine große Familie!
Es war gut, jemanden von außen auf die Vereinsstruktur schauen zu lassen. Wir selbst stecken viel zu tief drin, um Prioritäten zu definieren und festgefahrene Abläufe zu hinterfragen und neu zu organisieren. Ich bin nun gespannt, wie der ‚Neustart‘ des Vereins gelingt.«
Ulrike Gatzen, Mutter und Kernteammitglied
Iris Wolter und ihr Team kamen dennoch nicht umhin, Anfang 2022 zu konstatieren, dass die Vereinsorganisation am Limit ihrer Leistungsfähigkeit angelangt war. Sie mussten feststellen, dass die Kraft und die Zeit fehlten, um sich für die kontinuierliche Verbesserung der Vereinsorganisation zu kümmern.
Anlass für die Vereinsführung, einen Antrag auf Förderung einer Prozessberatung zu stellen, und zwar beim Fonds Soziokultur, Programm »Profil: Soziokultur«, der aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von »Neustart Kultur«finanziert wird. Nach Bewilligung konnte dann ein Organisationsberater mit der Unterstützung bei dem Sortieren und der Bewältigung der unterschiedlichsten Herausforderungen beauftragt werden.
Schmerzpunkte gibt es viele. So werden mehr Ehrenamtliche für eine regelmäßige Mitarbeit in der Vereinsarbeit benötigt. Das Vorstandsteam muss ebenfalls erweitert und die Innenorganisation des Vereins transparenter und zukunftsfest gemacht werden. Des Weiteren gilt es, die Frage der weiteren Strategie des Vereins zu beantworten, die Finanzierung auf den Prüfstand zu stellen und die Vereinsarbeit besser zu vermarkten.
Der Prozess der Organisationsberatung begann schließlich im März 2022 mit einem initialen Workshop. Dabei wurde von einem querschnittlichen Kernteam von Vereinsvertretenden der Status quo zusammengetragen. Daraus wurde ein mögliches Zielbild mit Rollen sowie Aufgabensteckbriefen abgleitet und über die Folgewochen in Online-Workshops weiterentwickelt.
Ich habe nach den Beratungsrunden das Gefühl, es kann geschafft werden, den Verein zukunftsfähig zu machen. Ich freue mich auf ein neues, sehr lebendiges Vereinsleben, auch in der Vereinsorganisation, das nicht nur hilft, die Arbeit zu erledigen, sondern auch Spaß machen wird.«
Iris Wolter, Vorstandsvorsitzende
Der Fokus im Prozess liegt zunächst einmal darauf, das Team der Vorstandsmitglieder und Ehrenamtlichen um weitere Protagonistinnen und Protagonisten zu erweitern, um die Vielfalt und Menge der zu bewältigenden Aufgaben auf mehr Schultern zu verteilen; gleichzeitig soll aber dennoch eine stabile Vereinsarbeit gewährleitet werden.
Dafür wurde das organisatorische Zielbild grafisch aufbereitet und in zwei Veranstaltungen allen Interessierten aus dem Vereinsumfeld vorgestellt. Hieraus haben sich viele Gespräche entwickelt und zahlreiche Mitmenschen aus dem Vereinsumfeld haben ihr Interesse für die Mitarbeit im Verein bekundet.
Damit ist das erste Ziel der Prozessberatung erreicht. Die Vereinsarbeit wird in absehbarer Zeit auf mehr Mitwirkende verteilt, was für das bisherige Vereinsteam eine erhebliche Entlastung und Stabilität, aber auch Freiraum für Weiterentwicklung mit sich bringen wird.
Allein schon der vorangegangene Klärungsprozess hat positive Wirkung im Kernteam entfacht, da durch die Transparenz über die Handlungsfelder und die offene Diskussion das Miteinander spürbar gestärkt wurde. Denn obwohl das Kernteam erheblich durch die laufende Vereinsarbeit gebunden war, wurde die parallele Zielbildfindung mit hohem persönlichem Engagement aller unterstützt. In dem Wunsch der Verbesserung und der Erfordernis des persönlichen Beitrags waren sich alle einig.
Im nächsten Prozessschritt bis in den Herbst 2022 wird es darum gehen, das erweiterte Team in Zusammenarbeit und Gestaltung der Aufgaben zu bringen. Ziel ist eine heterarchische Struktur mit klaren Aufgabenzuständigkeiten und verteilten Verantwortungen in den themenspezifischen Teams, dem erweiterten Vorstand sowie dem geschäftsführenden Vorstand. Diese muss in der Vereinspraxis genauso aufgebaut werden wie eine symmetrische Kommunikations- und Informationsstruktur. Außerdem müssen die Strukturen sowohl für den planbaren Vereinsbetrieb als auch für regelmäßig entstehende dringende und wichtige Ad-hoc-Themen funktionieren. Parallel dazu gilt es, die weiteren Themenschwerpunkte wie die Vereinsstrategie und Finanzierung oder das Marketing anzugehen.
Für Vereine in vergleichbaren Situationen kann nur die Empfehlung ausgesprochen werden, sich mit den Problemstellungen, wie sie hier geschildert wurden, lieber früher als später und ehrlich auseinanderzusetzen. Je später, desto schmerzhafter ist der Weg. Je früher, desto eher können alle Beteiligten an den positiven Ergebnissen teilhaben. Und das gilt wirklich für alle im Verein – von den Mitgliedern über den Vorstand bis hin zu Stakeholderinnen und Stakeholdern außerhalb des Vereins.
Insofern ist auch eine möglichst breite Beteiligung quer durch die Vereinsorganisation ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Das heutige Leben ermöglicht in den seltensten Fällen eine dauerhafte und umfangreiche Mitarbeit im Verein. Daher müssen die vielfältigen Aufgaben in einem Verein gut portioniert und organisiert werden, damit möglichst viele partizipieren wollen und auch können. Das geht über die Erwachsenen hinaus und bindet, wie in diesem Fall, auch die Kinder und Jugendlichen des Vereins ein, was deren Gefühl für ihre Verantwortung für sich und die Gemeinschaft stärkt.
So kann in Summe auch ein echtes Vereinsleben entstehen, anstatt dass Aufgaben als lästige Vereinsadministration erlebt werden. Alle sind nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen voll dabei!
Eine externe Organisationsberatung für diese Entwicklung ist sicherlich nicht immer ein absolutes Muss, aber unter Umständen extrem hilfreich und förderlich.